Ein Schulentwicklungsvorschlag für die Klassen 1-10
Die Schulschließungen im März 2020 waren weder vorhersehbar noch in irgendeiner Weise planbar. Begonnene Schulentwicklungsprozesse wurden auf Eis gelegt bzw. stark durcheinandergebracht. Für die meisten Schulen galt, quasi übers Wochenende, Möglichkeiten des digitalen Unterrichtens zu finden und diese mit den Schüler*innen einzuüben, ohne sich noch einmal im Präsenzunterricht begegnen zu können. Die Folge waren Wochen und Monate des unkontrollierten didaktischen Improvisierens, vielerorts mit unbefriedigenden Ergebnissen für Lehrkräfte, Schüler*innen und Erziehungsberechtigte. Der Grund für diesen „fernunterrichtlichen Wildwuchs“ liegt auf der Hand: Der Kreislauf der Qualitätsentwicklung, der jedem Schulentwicklungsprozess zugrunde liegt, wurde mit dem Lockdown gekappt. Gemeinsames und sinnvolles Planen war nicht mehr möglich, ebenso wie kaum Zeit für das Reflektieren der gemachten Erfahrungen blieb. Vielmehr waren Schulen zum Handeln gezwungen und mussten Maßnahmen durchführen, über die nicht ausreichend nachgedacht werden konnte.
Damit sich diese Erfahrungen nicht wiederholen, haben u.a. das bayerische Kultusministerium sowie zahlreiche Schulen reagiert und in den Monaten nach den Schulschließungen Microsoft Office 365 und MS Teams als Videokonferenz- und Kollaborations-Software eingerichtet. Die entsprechende Freigabe für die Nutzung dieser digitalen Lernumgebung erfolgte durch das bayerische Kultusministerium Ende Februar 2020[1]. Im Mai desselben Jahres konnte die Office Umgebung mit der sogenannten A1 Lizenz kostenfrei im Rahmen eines vorgefertigten KM-Tenants für Schüler*innen und Lehrkräfte eingerichtet werden (Microsoft Teams for Education). Die Maßnahme soll einen erneut notwendigen digitalen Fernunterricht verbessern, professionalisieren und für bayerische Schulen vereinheitlichen. Bayerische Grundschulen waren und sind von dieser Möglichkeit ausgenommen. Dennoch haben über die Sommermonate auch zahlreiche Grundschulen Microsoft Office 365 eingerichtet und Teams als Fernunterrichts-Software favorisiert, allerdings unabhängig des KM-Tenants.
Parallel zu diesen Entwicklungen häufen sich die Angebote für MS-Teams Fortbildungen. Die zentrale bayerische Fortbildungsakademie für Lehrkräfte in Dillingen (ALP) hat Selbstlernkurse zur Verfügung gestellt und bietet im Rahmen der neuen Stabsstelle für Mediendidaktik diverse Schulungen für den Umgang mit Teams/Microsoft Office 365 an. Darüber hinaus sind Lehrkräfte aus dem sogenannten Referent*innen-Netzwerk an den Schulen und digital im Einsatz und bieten Fortbildungen zu verschiedensten Themen an.
Die Idee des Curriculums
Die Schulungen zielen darauf ab, Lehrkräfte im Umgang mit MS Teams fit zu machen und decken mit ihren Angeboten das volle Funktionsspektrum von Teams ab. Für den Fall eines erneut notwendigen Fernunterrichts muss jedoch nicht jede Klasse das volle Funktionsspektrum von Teams nutzen. Vielmehr erscheint es sinnvoll, Teams nach seinem Einsatz in den verschiedenen Jahrgangsstufen curricular in bestimmte Anwendungsbereiche zu unterteilen. Diese Vorgehensweise böte mehrere Vorteile: Zum einen muss nicht jede Lehrkraft über alle Möglichkeiten und Funktionen Bescheid wissen. Zum anderen kann Teams in den unterschiedlichen Jahrgangsstufen differenziert und zielgerichtet eingeführt bzw. eingeübt werden. Eine solche Herangehensweise dürfte zudem zu einer Entlastung der Kolleg*innen und damit zu höherer Akzeptanz führen. Ein dritter Aspekt gewinnt perspektivisch für die Zeit „nach“ der Pandemie bzw. für „Infektionspausen“ an Bedeutung. Wenn Lehrkräfte MS Teams/Microsoft Office 365 auch für den Präsenzunterricht nutzen, kann mit einem Teams-Curriculum zu jeder Zeit in jeder Jahrgangsstufe nachvollzogen werden, über welche Fähigkeiten die Schüler*innen bereits verfügen (sollten).
Jede Jahrgangsstufe baut im Einsatz von MS Teams dabei auf die vorherigen Jahrgangsstufen auf und vertieft die bereits erlernten Anwendungen. Die Verknüpfungen zu anderen Programmen aus der Microsoft Office 365 Umgebung werden Inhalte aus dem Fach Informatik sowie Bausteine aus dem bereits formulierten Medienkonzept berühren und sind entsprechend abzustimmen.
Klasse 1 – Videokonferenz und einfacher Dateitransfer
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Teilnahme an Klassen-Video-Konferenzen durch Anklicken eines versendeten Links.
- Aufruf von Wochenplänen und Aufgaben für zuhause über einen einstudierten Weg (Datei-Ablage oder Nutzung des Kanals „Allgemein“).
- Lesen von individuellen Chat-Nachrichten der Lehrkraft, Anbahnen eigener Nachrichten an die Lehrkraft.
- Eltern und Erziehungsberechtigte müssen als Unterstützung eingeplant werden.[2]
Klasse 2 – Wechselseitige Kommunikation
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus Klasse 1 + Nutzung des Chats zur wechselseitigen Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schülern sowie zwischen Schülern untereinander.
- Die Möglichkeiten des Chats werden dabei ausgespielt: Versenden von Anhängen, übermitteln von Sprachnachrichten, Umgang mit weiterführenden Links.
- Abgabe von eigenen Aufgaben über einen einstudierten Weg (Datei-Ablage oder Nutzung des Chats mit der Lehrkraft).
- Eltern und Erziehungsberechtigte müssen als Unterstützung eingeplant werden.
Klasse 3 – Der Aufgabenbereich
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus Klasse 1/2 + Einführung des Bereichs Aufgaben. Bearbeiten von angelegten Aufgaben inkl. Abgabe von Dateien über den Aufgabenbereich.
- Schüler*innen erhalten gezieltes Feedback zu abgegeben Aufgaben.
- Eltern und Erziehungsberechtigte müssen als Unterstützung eingeplant werden.
Klasse 4 – Unterricht in Kanälen spiegeln
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus Klasse 1/2/3 + Nutzung verschiedener Kanäle für verschiedene Fächer.
- Aufgaben werden mit spezieller Kanalzuordnung eingestellt und um die Quizzes erweitert.
- Aufgaben können bepunktet werden.
- Wesentliche Elemente des Unterrichts werden von der Lehrkraft digital gespiegelt und als Datei-Ablage-System in den Kanälen unter Dateien angelegt.
- Eltern und Erziehungsberechtigte müssen als Unterstützung eingeplant werden.
— Wechsel auf eine weiterführende Schule —
Klasse 5 – Verknüpfung von MS Teams mit Word und Outlook
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus den Klassen 1 – 4 + Verknüpfung der Arbeitsplattform Teams mit Outlook und Word.
- Eingeübt werden das Verfassen eigener Mails, das Anhängen von Dateien, das Erstellen und Gestalten von Textdokumenten.
- Eigene digitale Dokumente werden in MS Word erstellt und können in MS-Teams hochgeladen, gespeichert und verschickt werden.
- Die Schüler*innen lernen MS Forms als ergänzendes Werkzeug für Quiz-Aufgaben und Feedback kennen.
- Eltern und Erziehungsberechtigte müssen als Unterstützung eingeplant werden.
Klasse 6 – Verknüpfung von MS Teams mit Power Point
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus den Klassen 1 – 5 + Verknüpfung der bisherigen Office-Anwendungen mit Power Point.
- Eingeübt wird das Erstellen eigener Präsentationen sowie deren Verarbeitung als Mail-Anhang und in Teams.
- Eltern und Erziehungsberechtigte müssen als Unterstützung eingeplant werden.
Klasse 7 – Das Kursnotizbuch
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus den Klassen 1 – 6 + Einführung des Kursnotizbuches im Kanal Allgemein als Heft-Ersatz.
- Sofern eine 1:1 Ausstattung vorliegt, wird OneNote als Heftersatz eingeführt und genutzt.
- Darüber hinaus werden persönliche Datei-Ordnungssysteme bei OneDrive angelegt und gepflegt.
- Video-Besprechungen werden nicht mehr über versendete Links angewählt, sondern im Kalender geplant und von den Schülern dort aufgerufen.
Klasse 8 – Kollaboratives Bearbeiten von Dateien
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus den Klassen 1 – 7 + Einführung des kollaborativen Bearbeitens einzelner Dateien aus Word und Power Point.
- Die Schüler können individuell erstellte Dateien per OneDrive und direkt aus den Anwendungen heraus freigeben, teilen und gemeinsam bearbeiten.
Klasse 9 und 10 – Vertiefende Übungen
Die Schüler*innen verfügen über folgende Kompetenzen:
- Grundlage aus den Klassen 1 – 8 + vertiefende Übungen zur Nutzung der Office-Programme Word/Power Point/Outlook/OneNote.
- Der Umgang mit den skizzierten Software-Anwendungen gehört zum Alltagsgeschehen – unabhängig davon, ob Unterricht in Präsenz oder über die Distanz organisiert werden kann/muss.
Jedes Curriculums braucht Flexibilität
Jedes Medien- oder Methodencurriculum ist eine Art Umsetzungsraster zu einem bestimmten Thema. Einerseits schaffen derartige Gerüste Sicherheit und Struktur und ermöglichen zielgerichtet angebotene Fortbildungen. Andererseits engen Curricula ein und verhindern situatives, spontanes und individuelles Agieren. Aus der Schulentwicklungsperspektive sind Curricula als eine Art kleinster gemeinsamer Nenner zu verstehen, mit denen ein möglichst hoher Prozentsatz eines Kollegiums zur Teilnahme an bestimmten Vereinbarungen ermutigt (verpflichtet?) werden soll. Selbstverständlich darf aus diesem Gerüst „nach oben“ hin ausgebrochen werden. Einzelne Kolleg*innen, die der Meinung sind, dass kollaborative Arbeitsweisen mit Software aus der Microsoft Office 365 Umgebung in ihrem Unterricht bereits in einer früheren Jahrgangsstufe Platz haben, dürfen und sollen sich sogar ermutigt fühlen, das auch auszuprobieren.
Veröffentlicht am 15. Oktober 2020
[1] Die Freigabe des bayerischen Kultusministeriums wurde und wird von Diskussionen um Fragen des Datenschutzes begleitet. Diese Diskussionen werden in diesem Beitrag bewusst ausgeblendet, ebenso wie Alternativen zu Microsoft Office 365 nicht zum Gegenstand des Textes gemacht werden sollen. Unabhängig von der Frage, mit welchen Software-Lösungen Schulen die nächsten Monate und Jahre bestreiten, sollte der Umgang mit dieser Software curricular aufgebaut und im Medienkonzept der Schule erfasst sein. Die hier vorgeschlagenen Kompetenzstufen für die verschiedenen Jahrgangsstufen können daher auch für andere Programme mit angepassten Formulierungen adaptiert werden (z.B. für eine Kombination aus Mebis, Nextcloud, BigBlueButton und OnlyOffice).
[2] In den Jahrgangsstufen 1 bis 6 ist es unablässig, Erziehungsberechtigte als Unterstützungssystem für Schüler*innen im digitalen Fernunterricht miteinzubeziehen. Die einzelne Schule muss in diesem Zusammenhang ihrer Informationspflicht nachkommen (z.B. durch vorbereitete Handouts zum Umgang mit Teams), sollte aber auch als Ansprechpartner und Organisator von Informationsveranstaltungen auftreten (z.B. durch die Veranstaltung eines Teams-Info-Abends mit einer Basis-Schulung für interessierte Eltern). Sofern es die Ressourcen an den Schulen zulassen, wäre eine digitale Sprechstunde für technische Probleme/Softwarefragen wünschenswert.
Das zum MS-Teams Curriculum passende Bild, das den spiralischen Aufbau vom „konsumieren“ zum „produzieren“ darzustellen versucht, stammt von meinem Kollegen Stefan Wörlein. Er ist Schulentwicklungsmoderator und medienpädagogischer Berater für digitale Bildung im Landkreis Ansbach in Mittelfranken.