Impulse für die Entwicklung und Gestaltung hybrider, personalisierter Lehr-Lernsettings
Eine Rezension zum gleichnamigen Buch von Johannes Zylka
Aufgrund der Corona-Pandemie waren Schulen gezwungen, gewohnte organisatorische und didaktische Pfade zu verlassen. Einige wenige Schulen meisterten diese Herausforderung jedoch mit großer Gelassenheit. Sie hatten bereits vor der Krise auf die Entwicklung digitaler und personalisierter Lernarrangements gesetzt und damit die Grundlage einer krisensicheren Schule errichtet. Johannes Zylka, Realschullehrer und Bildungsforscher der Pädagogischen Hochschule Weingarten, zielt mit seiner aktuellen Veröffentlichung „Flip your School!“ genau in diese Richtung. Unter seiner Herausgeberschaft sind zahlreiche und sehr lesenswerte Impulse zur Schaffung einer zeitgemäßen Lernumgebung zusammengetragen worden.
Aufbau und Inhalt
„Flip your School!“ ist in 13 Kapitel unterteilt und umfasst ca. 300 Seiten. Zusammen mit elf weiteren Autor*innen analysiert Zylka im ersten Teil des Buches, wie sich Schule in den nächsten Jahre entwickeln könnte bzw. müsste. Unter dem Titel „Quo vadis, scholae?“ werden die Schulschließungen als Anlass zur Entwicklung hybrider Lernumgebungen diskutiert, u.a. in Bezug auf die Erfahrungen der Alemannenschule in Wutöschingen. Passend dazu finden sich Kapitel zu einer Bildung im Spannungsfeld der Globalisierung, zur Pädagogik der guten Schule in Abgrenzung zur Reformpädagogik, Trends zur Schulentwicklung 2030, Schulentwicklungsfragen zu Change Management und Personalentwicklung sowie einige Hinweise zu Achtsamkeit und Mitgefühl.
Im zweiten Teil des Buches wird der Fokus auf personalisierte Lehr-Lernumgebungen gerichtet. Unter dieser Überschrift subsumieren sich u.a. Aufsätze zur Neuropsychologie, zur kompetenzorientierten Strukturierung von Lernprozessen, zu hybrider Lernprozessdiagnostik, zu Lerncoaching sowie einige Hinweise zu besonders interessanten Lernraumkonzepten. Unter den Autor*innen finden sich dabei prominente Namen wie Ulrich Herrmann, Hans-Günter Rolff, Olaf-Axel Burow oder Michael Schratz – und letztlich auch Zylka selbst, der mit seinen früheren Veröffentlichungen „Schule auf dem Weg zur Personalisierten Lernumgebung“ und „Digitale Schulentwicklung“ wichtige Beiträge zum aktuellen Schulentwicklungsdiskurs leistete.
Eine Veröffentlichung auf der Höhe der Zeit
Aufgrund der zahlreichen Beiträge unterschiedlicher Autor*innen kann „Flip your School!“ nur schwer als Ganzes bewertet werden. Gleichwohl wird es der Qualität des Buches nicht gerecht, die Zusammenstellung „nur“ als vielseitig zu beschreiben. Die Aufsatzsammlung überzeugt in meinen Augen aus zwei Gründen: Erstens gelingt es Zylka mit seinem treffsicheren und erfrischend deutlichen Basisbeitrag „Von den Schulschließungen zur Entwicklung hybrider, personalisierter Lernumgebungen“ eine Art Fluchtpunkt zu verfassen, auf den sich viele der Folgekapitel beziehen. Darin umreißt Zylka, wie es die Schulschließungen notwendig gemacht haben, einen Perspektivenwechsel weg von der Unterrichtsgestaltung hin zur Gestaltung von Lernprozessen zu vollziehen. Und er stellt heraus, dass es für diesen Wandel mehr pädagogische Freiheiten auf der Ebene der Einzelschule benötigt.
„Qualität & Innovation entsteht im schulischen Alltag vor Ort – es gilt auf bildungspolitischer Ebene, die für regionale Schulentwicklung dringend notwendigen Freiheiten zu schaffen.“ (Johannes Zylka, S. 48)
Zweitens werden auch in den restlichen Aufsätzen progressive Schulentwicklungsbemühungen auf der Höhe der Zeit beschrieben. Die Autor*innen denken Schule in „Flip your School!“ von der Zukunft aus und zeigen, dass es (spätestens) seit Corona nötig ist, Lehr-Lernprozesse personalisiert und in hybrider Form zu organisieren. Dazu braucht es Fortbildung, veränderte Raumkonzepte, eine andere Unterrichtskultur, Management-Ansätze in der Gestaltung des Wandels und eine veränderte Lehrer*innenrolle. Forderungen, die zwar in der pädagogischen Diskussion nicht neu sind, aber im vorliegenden Band auf inspirierende Weise mit den Erfahrungen der Pandemie und den Erkenntnissen erfolgreicher Einzelschulen verwoben werden.
Fazit
„Flip your School!“ ist aktuell die beste Veröffentlichung zu Schulentwicklungsfragen, die unter den Eindrücken der Pandemie reflektiert werden. Der Band zeigt, wie Schule in der heutigen Zeit funktionierten müsste und macht Lust, Visionen für die eigene Praxis zu formulieren und anzugehen. Schulleitungen, Aus- und Fortbildner*innen von Lehrkräften sowie alle, die an Schulentwicklung interessiert sind, finden in ihm einen Wegweiser in einer Bildungslandschaft, die von disruptiven Prozessen geprägt ist und sich neu ausrichten wird.
Dass viele Überlegungen an der preisgekrönten Alemannenschule in Wutöschingen angelehnt werden können, zeigt darüber hinaus, dass es eigentlich keinen Konjunktiv mehr bräuchte. Das Wissen um gute und zeitgemäße Schule ist hinreichend vorhanden. Jetzt müssen wir den Umbau nur noch in die Hand nehmen und in Richtung Bildungspolitik beharrlich formulieren, was wir dafür brauchen. Für beides bietet Zylka mit „Flip your School!“ zahlreiche Ansatzpunkte. Klare Leseempfehlung!
Zylka, J. (2021) (Hrsg.): Flip your School – Impulse für die Entwicklung und Gestaltung hybrider, personalisierter Lehr-Lernsettings. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Hier geht es zum Inhaltsverzeichnis und zu einer Leseprobe: https://www.beltz.de/fileadmin/beltz/leseproben/978-3-407-63232-6.pdf
Veröffentlich am 8. Juli 2021