Über eine eindrucksvolle Erfahrung als Mobile Reserve
Team Teaching ist für Schüler*innen und Lehrkräfte eine schöne Sache. Mindestens zu zweit zu unterrichten ist weniger anstrengend, ermöglicht eine individuellere Betreuung und macht Unterricht besser. Darüber hinaus fördert Team Teaching Zusammenarbeit und reduziert Ängste, Einblicke in den eigenen Unterricht zu gewähren. Dennoch ist gemeinsames Unterrichten selten und meist nur unter bestimmten Voraussetzungen wie z.B. in Ganztagesklassen oder an Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt vorzufinden. Sehr viele Lehrkräfte finden das schade, ich eingeschlossen.
Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass ich in meiner Zeit als Mobile Reserve (= Vertretungsdienst an mehreren Schulen) eine Woche lang eine besondere Team Teaching Erfahrung machen durfte. Ich war als Vertretung für eine Klassenleitung und eine Fachkollegin in einer achten Jahrgangsstufe an einer bayerischen Mittelschule eingesetzt. Eine Lehrerin befand sich zu diesem Zeitpunkt in häuslicher Quarantäne, war jedoch glücklicherweise gesund und ohne positiven Corona-Befund. Die zweite Lehrkraft war krankgeschrieben. Meine Aufgabe bestand darin, den grob vorstrukturierten Unterricht in mehreren Fächern vor Ort zu übernehmen.
Die äußeren Bedingungen waren dank effektiver und jahrelanger digitaler Schulentwicklung ideal. Entsprechend fand ich ein sehr gut ausgestattetes digitales Klassenzimmer mit W-LAN, Laptops, Dokumenten-Kamera und interaktiver Tafel vor. Zudem waren die Schüler*innen spätestens seit den Schulschließungen in der Lage, selbstständig und digital gesteuert zu arbeiten, organisiert über MS-Teams. Eingeübt war zum Beispiel, Aufgaben digital abzugeben, Informationen über „Fach-Kanäle“ entgegenzunehmen und im bzw. mit dem Kursnotizbuch zu arbeiten. Darüber hinaus gehört die Nutzung des Chats zur wechselseitigen Kommunikation zum Alltag.
Die Zusammenarbeit begann mit einem kurzen digitalen Austausch, was im Unterricht dieser Woche zu bearbeiten sei, wobei alle Materialien bereits im Kanal “Vertretungsmaterial” im Lehrer-Team für mich abgelegt waren. In der Vorbereitung der einzelnen Stunden versicherte ich mich einige Male per Chat, ob meine Ansätze zu den Vorstellungen der beiden Lehrkräfte und den gestellten Hausaufgaben bzw. Hausaufgabenplänen passten. Aus diesen Dialogen entwickelte sich schließlich ein kollaboratives Bearbeiten der Unterrichtsdateien, zu denen sowohl ich als auch die Kolleginnen zuhause Ideen beisteuern konnten.
Im eigentlichen Unterricht ging es ähnlich kooperativ weiter. Über die direkte Verbindung via MS-Teams konnten die Schüler*innen aus dem Vertretungsunterricht heraus Fragen an die Klassenlehrkräfte stellen und erhielten unmittelbar Antwort. Parallel dazu berichtete ich meist während längerer Arbeitsphasen, wie weit wir gekommen waren und wie die Aufgaben für zuhause entsprechend angepasst werden müssen. Und auch inhaltlich standen wir in ständigem Kontakt. Während ich im Präsenzunterricht mit der Betreuung einzelner Schüler*innengruppen beschäftigt war, luden andere ihre Arbeitsergebnisse bei Teams hoch, so dass die Kollegin zuhause korrigieren und Rückmeldungen formulieren konnte. Hinzu kamen Rückfragen zu einzelnen Schüler*innenpersönlichkeiten und zu erzieherischen Themen. Beispielsweise konnten so Nachrichten an Eltern formuliert werden, noch während der Schüler/die Schüler in der Schule anwesend war. Kurzum: Durch das Miteinander von Präsenz-Unterricht und Tätigkeiten “aus dem Off” konnten wir Lehrkräfte mit mehr Power agieren – und all das in Echtzeit und reibungslos, weil wir über digitale Schnittstellen ständig miteinander verbunden waren. Zudem war und bin ich mir sicher, dass diese Klasse einen Wechsel von Präsenz- auf Distanzunterricht weitestgehend geräuschlos hinbekommen würde, weil digitale Arbeitsweisen wie z.B. der Umgang mit einem E-Portfolio im Kursnotizbuch entsprechend geschult sind – angesichts des bevorstehenden Winters also optimal.
Alles in allem durfte ich in dieser Woche erleben, wie effektive Kooperation zwischen Lehrkräften mittels digitaler Möglichkeiten zum Wohl der Schüler*innen eingesetzt werden kann – selbst in einer unangenehmen Quarantäne-Situation. Natürlich hätten wir im Team vor Ort noch effektiver arbeiten können. Und sicher hätte diese Form des digitalen Quarantäne Team Teachings noch ausgebaut werden können. Wahrscheinlich hätten wir spätestens in der zweiten Woche damit experimentiert, die Kollegin zuhause live zuzuschalten und Einzelgruppenbetreuung via Videokonferenz mit einer zweiten Lehrkraft zu organisieren. Die fünf Tage in dieser Klasse haben aber ausgereicht, um festzustellen, welche Potentiale in dieser Form der Zusammenarbeit stecken. Und, um Überlegungen anzustellen, an welchen anderen Stellen Formen des digitalen Team Teachings nützlich sein könnten.
Beispielsweise wünschte ich mir, dass es sinnvolle Strukturen im Schulsystem gäbe, um älteren Kolleg*innen eine Reduzierung der unterrichtlichen Tätigkeit zu ermöglichen, ohne dass diese dadurch weniger Bezüge erhalten. In Bayern gibt es jedoch nur wenige Stunden Altersermäßigung (oder man verzichtet in Form einer Teilzeitbeschäftigung auf Geld) – an der Art von Arbeit ändert sich aber nichts. Die Übernahme digitaler Betreuung von Unterricht (Vorbereitung von Unterrichtsmaterial, die Verwaltung von Hausaufgaben, das Bearbeiten pädagogischer Hintergrundaufgaben etc.) böte jedoch eine Möglichkeit, Lehrkräfte zu entlasten. Altersteilzeit müsste dann nicht zwangsläufig weniger, sondern eher andere, weniger belastende Arbeit, bedeuten. Eine win-win-Situation, die ich mir ebenfalls bei Teilzeitkräften, beim langsamen Wiedereinstieg nach der Elternzeit oder bei Wiedereingliederungsmaßnahmen nach einer längeren Erkrankung vorstellen kann.
Noch schöner wäre dann nur, wenn man einfach immer in multiprofessionellen Teams arbeiten könnte und ein Kollege/eine Kollegin die “Geschäfte” im Hintergrund führt oder man sich bei den zahlreichen und anspruchsvollen Aufgaben des Lehrer*innendaseins abwechselt. Aber, wie sagt man so schön: Es muss ja auch noch was zum Wünschen übrig bleiben.
Veröffentlicht am 29. November 2020