Anregungen für die Krisenzeit
In der Phase der Schulschließung waren Schulen gezwungen, ihre Arbeitsweise und ihre bisherigen Routinen von jetzt auf gleich umzustellen und digitalen Fernunterricht für das Lernen zuhause zu organisieren. Zahlreiche Schulen waren auf diese Situation nicht adäquat vorbereitet, mussten improvisieren und so gut wie möglich nachsteuern. Dabei ist nach wie vor viel Durcheinander zu beobachten. Einheitliche Lösungen, geschweige denn Konzepte für das Lernen zuhause oder den sogenannten Hybridunterricht der kommenden Wochen und Monate fehlen. All das ist ohne Frage eine riesige Herausforderung für jede Schulgemeinschaft und gleichermaßen ein Auftrag für Prozesse der Schulentwicklung. Die folgenden Stichpunkte können als Checkliste für Schulentwicklung während der Pandemie betrachtet werden. Ihnen liegt der Gedanke zugrunde, dass Schulen für einheitliche Systeme, Transparenz und Austausch zwischen allen Akteur*innen sorgen sollten.
Leitlinien für das Lernen zuhause entwickeln
- Den Ausgangspunkt bilden Überlegungen zum digitalen Fernunterricht bzw. für das Lernen zuhause. Hierfür gibt es weder Standards noch verbindliche didaktische Vorgaben. Aus diesem Grund sollten Kollegien für das Lernen zuhause Leitlinien erarbeiten. Impulse zum Fernunterricht finden sich in der folgenden Übersicht des bayerischen Realschulnetzes.
- In diesen, auf die Einzelschule anzupassenden, Leitlinien sollten insbesondere die Dimensionen der Beziehung, der individuellen Betreuung, des persönlichen Kontakts und des wechselseitigen Feedbacks berücksichtigt werden.
- Dazu sollten innerhalb einer Schule einheitliche Kommunikationssysteme festgelegt werden, um im Kollegium, mit Schüler*innen und deren Eltern in Kontakt zu treten. Zur Bereitstellung von Lernmaterialien sollten alle Lehrkräfte einheitliche Datentransfersysteme nutzen.
Didaktische Hinweise zur Fernunterrichtsgestaltung mit diesen Systemen finden sich bei Philippe Wampfler, Axel Krommer und Wanda Klee in einer Veröffentlichung für das Schulministerium in NRW: Impulse für das Lernen auf Distanz.
- Unabhängig davon, ob Schüler*innen in der Schule oder zuhause unterrichtet werden, sollte die Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten im Sinne einer Erziehungspartnerschaft gepflegt werden. Dazu sollten die Leitlinien des Lernens zuhause auch für Eltern einsehbar und transparent sein. Lehrkräfte sollten darüber hinaus auch im Homeoffice zu „Bürozeiten“ und während „digitaler Sprechstunden“ erreichbar sein.
Zusammenarbeit organisieren
- Für die technischen Dimensionen des Arbeitens während der Krise sollten Schulen sich für eine Softwarelösung mit Videochatfunktion entscheiden, damit regelmäßiger Austausch organisiert werden kann. Idealerweise eignet sich dieses System auch für den Unterricht mit Klassen zuhause, wie es in Bayern mit dem systematischen Rollout von Microsoft Teams für die Sekundarstufe durch das Staatsministerium für Unterricht und Kultus jetzt angestoßen ist.
Empfehlenswerte Hinweise und Tipps für den videobasierten Unterricht finden sich auf dem Blog von Sonja Senftleben-Hennig.
- Zudem scheint es in der begegnungseingeschränkten Schule wichtiger denn je, dass sich Lehrkräfte und Schulleitung in einem regelmäßigen Treffen beraten (z.B. in einem jour fix immer am Anfang und am Ende einer Woche).
- Kolleg*innen sollten sich aber auch unabhängig der Schulleitung regelmäßig treffen und in einem dafür vorgesehenen Rahmen good-practice-Beispiele austauschen und diskutieren. Mikro-SchiLfs zu digitalen Arbeitsweisen können z.B. per Videokonferenz-Lösung angeboten werden. Idealerweise werden solche Angebote ritualisiert, z.B. alle 14 Tage, und jeweils von einem anderen Kollegen bzw. einer anderen Kollegin angeboten. Die Ergebnisse dieser Austausch- und Reflexionstreffen fließen in die sich ständig weiterentwickelnden Leitlinien des Lernens zuhause bzw. in die Hybrid-Didaktik ein.
Anregungen zur Hybrid-Didaktik finden sich z.B. auf dem Blog von Kristina Wahl.
- Zur Organisation der Zusammenarbeit könnten Lehrkräfte eine gemeinsam genutzte Dateiablage für Materialien für das Lernen zuhause anlegen, die kollaboratives Arbeiten zulässt und auch langfristig und datenschutzkonform eingesetzt werden kann. Ein derartiges Ablagesystem kann den Beginn der Dezentralisierung des Lehrer*innenarbeitsplatzes markieren.
- Bei der Verteilung von Aufgaben sollte darauf geachtet werden, dass alle Kolleg*innen gleichermaßen in die Arbeitsprozesse der Schulgemeinschaft eingebunden sind. Dazu ist es wichtig, auch über die gerechte Verteilung von Aufgaben zwischen Lehrkräften zu sprechen. Dabei sind möglichst alle Besonderheiten (Fächerkombination, Teilzeit, eigene Kinder, Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, Anrechnungsstunden etc.) zu berücksichtigen.
- Fachlehrer*innen, die teilweise von eigener Unterrichtsverpflichtung entlastet sind, können Klassenleiter*innen bei der Erstellung von Materialien unterstützen. Insofern nach dem Fachlehrer*innenprinzip gearbeitet wird, sollten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für das Lernen zuhause einer Klasse geregelt werden. Möglicherweise bietet es sich sogar an, Arbeitsweisen des Klassenleiter*innenprinzips zu adaptieren (z.B. die Koordination von Materialien für das Lernen zuhause durch eine verantwortliche Person pro Klasse).
- Für die unübersichtlichen Möglichkeiten des digitalen Arbeitens sollten geeignete Unterstützungssysteme angelegt und kommuniziert werden (z.B. Erreichbarkeit der Systembetreuung und der Berater*innen für digitale Bildung). Erfahrungen können in das sich weiterentwickelnde Medienkonzept einfließen, welches derzeit einer besonderen Überprüfung standhalten muss.
Lesenswerte Überlegungen zu einem zukunftsfähigen Medienkonzept finden sich auf dem Blog von Patrick Bronner.
- Bei größeren Entscheidungen sollte zudem darauf geachtet werden, Mitglieder der Schulfamilie soweit wie möglich miteinzubeziehen, insbesondere die Personalvertretung, den Elternbeirat und die SMV. Eine besonders verantwortungsvolle Position hält derzeit auch das Reinigungspersonal inne. Darüber hinaus sind gegebenenfalls auch Mitarbeiter*innen von Hort und Schulküche etc. an Planungen zu beteiligen und über Beschlüsse zu informieren.
Auf die Notwendigkeiten der Krise reagieren
- Unter den veränderten Bedingungen der gegenwärtigen Krise sollten die Mittel des Digitalpakts für Ausstattungsfragen anders als bisher herangezogen werden. In Kooperation mit dem Sachaufwandsträger sollte geklärt werden, welche Anschaffungen Priorität haben. Der Schwerpunkt sollte dabei auf der digitalen Organisation des Lernens zuhause (z.B. in Form von Softwarelizenzen) sowie auf Schüler*innen- und Lehrer*innengeräten liegen. Schulen, in denen es immer noch am W-LAN Ausbau mangelt, sollten auf die Einrichtung einer vernetzten Lernumgebung drängen.
- Ausgesprochen hilfreich wäre es, wenn Schulleitungen aller Schularten ein Budget zugewiesen bekämen, um gemeinsam mit der Schulfamilie Investitionsentscheidungen treffen zu können. Der direkte Draht sowie eine gute Beziehung zum Sachaufwandsträger sind hierfür unerlässlich.
- Darüber hinaus braucht es für sozial benachteiligte Familien Unterstützungsmodelle. In Kooperation mit dem Sachaufwandsträger und evtl. einem Förderverein können Verleihsysteme oder Fördermodelle für die Anschaffung von digitalen Endgeräten entwickelt werden.
- Zu guter Letzt geht es darum, die Erkenntnisse aus der Zeit der Krise systematisch zu erfassen. Dazu wird ein spezieller Rahmen wie z.B. eine Zukunftswerkstatt benötigt, in der ausgehend von den jetzigen Erkenntnissen Ansätze für die Zukunft formuliert werden. Hier könnten etwa folgende Bereiche bearbeitet werden: Veränderung der Aufgabenkultur zu mehr Selbsttätigkeit und Lernautonomie, Organisation von Lernen jenseits des Präsenzunterrichts, veränderte Fortbildungsgestaltung für Lehrkräfte, erweiterte Möglichkeiten der Zusammenarbeit und vieles mehr. Wird der irgendwann wiederkehrende alte Normalzustand nur abgewartet, verschließt sich das Fenster möglicher langfristiger Veränderungsimpulse. Jetzt müssen sich Kollegien entscheiden, ob und welche der angestoßenen Prozesse dauerhaft eine Chance haben.
Ansätze und Ideen finden sich gesammelt unter #3weeks2learn auf dem Blog der Bildungspunks und im lesenswerten Beitrag zur Schule in der post-Corona-Zeit auf dem Blog von Bob Blume.
Den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren
Mit diesen Ideen ist kein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden. Im Gegenteil ist die Realität an Schulen noch deutlich komplexer: Über all dies hinaus müssen Hygiene-Vorgaben umgesetzt, Raumlogistik bewältigt, das kommende Schuljahr geplant, Abschlussprüfungen organisiert und Zeugnisse geschrieben werden. Lehrkräfte, die in den nächsten Wochen und Monaten eine Klasse im blended Learning unterrichten, stehen vor zeitintensiver Doppelbelastung. Neben all dem noch aktiv Schulentwicklungsprozesse anzustoßen und zu moderieren, ist fast schon ein Kunststück. Deshalb erscheint es mir wichtig, den Blick fürs Wesentliche nicht zu verlieren: Unter den Bedingungen der Pandemie geht es vor allem darum, gesund zu bleiben. Dazu muss die individuelle Arbeitsbelastung in den Blick genommen werden. Schulleitungen sind derzeit enorm gefordert und nicht zu beneiden. Sie bräuchten dringend Entlastung, z.B. in Form von mehr Anrechnungsstunden oder der Möglichkeit, eine erweiterte Schulleitung einzusetzen. Das Gleiche gilt für einen Großteil der Lehrkräfte. Hier ist immer wieder Unterstützung und Fürsorge durch den Staat als Arbeitgeber anzumahnen. Im täglichen „Geschäft“ kann man darauf allerdings nur schlecht warten. Deshalb gilt weiterhin, Aufgaben auf viele Schultern zu verteilen, gezielt Schwerpunkte für die Schulentwicklung zu setzen und Synergien in der Schule bestmöglich zu nutzen. Dann kann die Krisenzeit zu einer Chance für nachhaltige Veränderungen werden.
Veröffentlicht am 25. Mai 2020
Bilder (bis auf die letzte Grafik) lizenzfrei von www.pixelio.de – bearbeitet von J.F.