Ein Modell zur Verbindung von Fachinhalten, Lernstrategien und Digitalkompetenzen

Bei der diesjährigen Konferenz des Forums Bildung Digitalisierung (KonfBD) durfte ich John Hattie live erleben. Der neuseeländische Pädagoge und Bildungsforscher sprach in seiner Keynote über die Dinge, die schulisches Lernen wirksam werden lassen. Im Unterschied zu den sonst häufig zitierten (und die Komplexität seiner Metaanalysen vereinfachenden und verfälschenden) Ranglisten ging es ihm um maßgeschneiderten Unterricht, der Schüler:innen dazu befähigt, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Er sprach davon, sie durch kompetente Lehrkräfte zu den „Fahrer:innen“ ihres eigenen Lernens werden zu lassen. Zentral sind dabei metakognitive Fähigkeiten, Selbstregulation und Lehrkräfte, die mit hohen Erwartungen an sie glauben.
Mich haben Hatties Ausführungen darin bestärkt, Lernziele auch weiterhin ins Zentrum meines Unterrichts zu stellen (Sekundarstufe I, bayerische Mittelschule). Darüber hinaus thematisiere ich in nahezu allen Lerneinheiten, welche Lernstrategien angewendet werden können, welche Effekte sie haben und ob sie hinsichtlich der Erreichung der gesetzten Ziele nützlich sind. Wir reflektieren damit nicht nur, was und wie wir lernen, sondern was wir in Abhängigkeit der Ziele tun und warum. So holen wir das Nachdenken über den Prozess des eigenen Lernens in den Raum – eine weitere Empfehlung Hatties.
Im Zentrum stehen zur Ausgangslage passende Ziele
Generative KI ist dabei nicht das allesentscheidende Thema. Ihr Potenzial liegt jedoch darin, die Möglichkeiten für selbstbestimmtes und selbstreguliertes Lernen zu erweitern – ein Aspekt, den ich hier im Blog schon länger verfolge (KI als Hebelwerkzeug, vgl. hier). Einige Zeit habe ich überlegt, ob man von einer eigenen „KI-Didaktik“ sprechen sollte. Streng genommen ist das aber Unsinn, da es auch keine „Internet-Didaktik“ oder eine „Tablet-Didaktik“ gibt und braucht. Und doch verändert KI die Bedingungen des Lernens erheblich: Neue Aufgabenformate, die Gefahr des Skill Skippings oder Fragen zur Prüfungskultur zeigen, dass Schüler:innen heute noch stärker angeleitet und befähigt werden müssen, vorgegebene Lernziele zu übernehmen bzw. selbst welche zu formulieren – und diese durch geeignete Strategien zu erreichen.
KI kann dann in vielen verschiedenen Formen als Lernressource genutzt werden, muss aber – über die bloße Anwendung hinaus – aus weiteren Perspektiven betrachtet werden. Jeder Einsatz erfordert Kompetenzen auf der Ebene des Verstehens und des Reflektierens: zum einen in Bezug auf den konkreten Gebrauch der Technologie, zum anderen in Bezug auf die dahinterliegende Lernhaltung der Schüler:innen.
Der Prozess zeigt sich schleifenartig
Lernen im Zeitalter von generativer KI ist deshalb didaktisch verschränkt. Fachinhalte und inhaltliche Lernziele müssen zum Aufbau von Digital- und KI-Kompetenzen mit dem Einsatz neuer Möglichkeiten kombiniert werden. Damit das gelingt, braucht es neben methodischen Ansätzen und der Tool-Auswahl eine bewusste Arbeit an Lernstrategien: Sie müssen in Bezug auf die zu erreichenden Ziele sichtbar gemacht und weiterentwickelt werden.
Im Unterrichtseinsatz zeigt sich dieser Prozess schleifenartig. Lehrkräfte wählen mit Blick auf ein Lernziel Methoden und Tools, verbinden die inhaltlichen Aufgaben mit Lernstrategien und helfen Schüler:innen dabei, sowohl die Lernerfahrung als auch die Lernhaltung zu verbalisieren.
Verfügen Lernende bereits über höhere Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen, wählen sie ihr Lernziel selbst, entscheiden sich für Aufgaben, Methoden und Tools und planen und reflektieren ihren Lernweg mit Blick auf die Zielerreichung und ihre eigene Haltung. Fachbezogene Kompetenzen verbinden sich so mit metakognitiven Kompetenzen, dem Wissen über Lernstrategien sowie mit Digital- und KI-Kompetenzen. Lehrkräfte übernehmen beratende und begleitende Funktionen, geben Feedback und arrangieren das, was für die individuellen Lernprozesse nötig ist. Idealerweise entstehen Erfahrungen der Wirksamkeit, der Autonomie und der Resonanz in Beziehungen zu Lehrkräften, Mitschüler:innen, zu Inhalten und zu sich selbst.
Meine Überlegungen habe ich als Reflexionsfolie für Lehrkräfte, Schulen und Veranstaltungen in einer Grafik zusammengefasst, die an unser KI-Kompetenzmodell (vgl. hier) anschließt und das Lernen mit KI (vgl. hier) systematisiert und als iterativen Prozess konkretisiert.

Im Folgenden möchte ich die Elemente der Grafik noch einmal einzeln beschreiben:
- Im Zentrum stehen die Lern- und Ausgangslagen der Schüler:innen. Von ihnen ausgehend (und mit Blick auf Lehr-/Bildungspläne) werden fachliche Inhalte und Lern- bzw. Kompetenzziele formuliert.
- Das Aufgabendesign rahmt diesen Kern. Lehrkräfte entscheiden auf Grundlage der Ziele, welche Methoden und Settings geeignet sind, um Lernprozesse zu strukturieren.
- Die Auswahl und der Einsatz von Tools erfolgt nie isoliert, sondern immer in Bezug auf Inhalte, Ziele und Lernstrategien. KI ist dabei ein Werkzeug unter vielen, das den Lernprozess stützen, vertiefen oder erweitern kann.
- Der KI-Einsatz selbst erfordert Kompetenzen auf der Ebene des Verstehens, des Anwendens und eine Reflexiondarüber, wie und warum KI als Lernressource genutzt wird. Ebenso wichtig ist die Auseinandersetzung mit der dahinterliegenden eigenen Lernhaltung.
- Die Prozesslogik ist iterativ: Lernen mit KI verläuft in Schleifen, die immer wieder neu an Zielen, Lernstrategien und Reflexion ansetzen. Dadurch wird der Prozess kontinuierlich angepasst und vertieft. Erfahrungen mit Tools und Methoden werden mit Blick auf die Zielerreichung reflektiert und in zukünftige Lernprozesse eingespeist.
- Die Outcomes liegen auf mehreren Ebenen: Aufbau von Digital- und KI-Kompetenzen, Entwicklung fachbezogener und metakognitiver Kompetenzen, Erfahrungen von Wirksamkeit und Resonanz in Bezug auf Inhalte, Beziehungen und das eigene Lernen.
- Die didaktische Verschränkung zeigt sich darin, dass fachliche Inhalte, Lernstrategien sowie Digital- und KI-Kompetenzen nicht nebeneinanderstehen, sondern miteinander verbunden werden.
- Die Rolle der Lehrkraft bleibt zentral: Sie gestaltet Lernumgebungen, eröffnet Wahlmöglichkeiten, gibt Rückmeldung und unterstützt Lernende dabei, Ziele, Strategien und Haltungen bewusst zu machen.
- Die Verantwortung für den Prozess kann – je nach Reife und Fähigkeit – schrittweise in die Hände der Lernenden übergehen. Sie wählen zunehmend selbst Ziele, Methoden und Tools und reflektieren ihren Lernweg eigenständig.
- Kreative und offenere Formen des Lernens stellen eine Art Ausbruch aus dem Modell dar. Die Aufgabe von Lehrkräften läge hierbei darin, entsprechende Ressourcen bereitzustellen und den gesteuerten Schleifenprozess loszulassen.
Eine bewusste Verschränkung von Inhalten
Lernen mit KI erfordert keine völlig neue Didaktik, wohl aber eine bewusste Verschränkung von Zielen, Inhalten, Strategien und (KI-)Tools. Entscheidend ist, dass Lehrkräfte den Prozess reflektiert gestalten und Lernende Schritt für Schritt Verantwortung übernehmen können. So wird KI nicht zum Selbstzweck, sondern zu einem Medium, das Selbststeuerung, Kompetenzentwicklung und Erfahrungen von Wirksamkeit unterstützt.
Die Grafik steht als Open Educational Resource (OER) unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 zur Verfügung. Sie darf also frei genutzt, vervielfältigt und bearbeitet werden – auch für eigene Materialien, Präsentationen oder Fortbildungen. Voraussetzung ist lediglich die Nennung des Urhebers und die Weitergabe unter derselben Lizenz.
P. S.: Der Vortrag von John Hattie auf der KonfBD 25 kann hier nachgesehen werden (ab 5:57:35): https://www.youtube.com/watch?v=nVoFRsu7OYo&t=21371s
P. P. S.: Dies ist der 100. Beitrag auf diesem Blog. Herzlichen Dank allen Leserinnen und Lesern für euer Interesse, eure Wertschätzung und die vielen positiven Rückmeldungen zu meiner Arbeit!
Veröffentlicht am 6. Oktober 2025
1 thought on “Lernen mit KI als didaktisch verschränkter Prozess”