Gastbeitrag von Kaja Knapp
In jeder Beziehungskonstellation bestimmt Kommunikation wesentlich über das Gelingen des täglichen Miteinanders. Wir „sprechen“ dabei nicht nur mit und durch Wörter, sondern kombinieren Sprache – auch unterbewusst – mit Hilfe des Zeichensystems, das alle außersprachlichen Kanäle umfasst: Körper und Bewegung, Gesichtsausdruck, Wahrnehmung für Atmosphäre und Stimmung, hören, riechen oder schmecken.
Schule als Kommunikationsraum
Insofern sich Lehrkräfte nicht allein zurückziehen, nutzen sie diese Zeichensysteme in der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen und im Unterricht ständig. Hierin liegt wohl auch eine der größten Müdigkeitsursachen begründet, denn es gehört zum täglichen Geschäft, kommunikative Reize zu initiieren und auf diese zu reagieren – meistens ohne Pause. Der Erfolg von Schule hängt dementsprechend von vielen kleinen und umfangreicheren Kommunikationssituationen formaler und informaler Art ab.
Kommunikation und digitale Transformation
Wie in allen Organisationen haben sich auch in der Schule Strukturen und Routinen entwickelt, um Entwicklungsprozesse anzustoßen und notwendige Absprachen zu treffen (Lehrerkonferenzen, Mitarbeitergespräche, Klassenrat etc.). Die digitale Transformation hat diese Routinen durch eine Erweiterung der Kanäle und deren frequentierten Gebrauch (Lernmanagementsysteme, Messengerdienste, Videokonferenzen etc.) verändert. Dies bewirkte zum einen Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens, zum anderen eine Zunahme an Nachrichtenflut, Flüchtigkeit, Unverbindlichkeit und Hemmungslosigkeit. Darüber hinaus begegnet uns die Vermeidung von Konfrontation und der Verlust inhaltlicher Substanz in verschiedenen Situationen, sei es als Nachricht ohne Anrede oder in einer langen und emotional aufgeladenen Beschwerdemail.
Der Interpretationsspielraum ist durch die Hinzunahme digitaler Kommunikationskanäle sehr viel größer geworden, was Missverständnisse und den Bedarf an klärenden Gesprächen begünstigt. Dies wirkt sich nicht nur zeitlich auf unseren Arbeitsalltag aus, sondern beeinflusst auch die Beziehung zwischen Leitung und Kollegium, im Kollegium untereinander und zwischen Lehrkräften und Schüler*innen bzw. deren Eltern, was wiederum das gelungene Miteinander beeinträchtigt.
Wie gehen wir mit veränderten Kommunikationsstrukturen um?
An dieser Stelle muss sich Schule – wie eigentlich immer – ins Verhältnis setzen: Wie gehen wir als Kollegium und als Schulgemeinschaft mit diesen veränderten Kommunikationsstrukturen um? Und wollen wir das so oder braucht es dafür Regeln oder Strukturen, um Entwicklungen wieder „einzufangen“? Hier greifen die Schulentwicklungsprozesse, durch die wir uns mit gesellschaftlichen Trends auseinandersetzen und erst neue/angepasste Verhaltensweisen, später dann neue Routinen entwickeln müssen. In Bezug auf das Bespielen der Vielzahl digitaler Kommunikationskanäle (neben den herkömmlichen Kommunikationssituationen) sollten Kollegium und Leitung schließlich entlastet und nicht weiter belastet werden – mit dem Ziel, auch weiterhin erfolgreich zusammen zu arbeiten.
Kommunikationsstrukturen in den Blick nehmen – eine Bestandsaufnahme
Wie kann man als Schulgemeinschaft Kommunikationsstrukturen thematisieren, sie überprüfen oder innovieren? Zunächst bietet es sich an, eine grobe Bestandsaufnahme im Sinne einer Problemanalyse durchzuführen. Hierbei helfen die folgenden Fragen.
- Welche Kommunikationskanäle existieren (z.B. analog/digital)?
- Was davon muss in welchen Situationen beibehalten werden (z.B. bei einer Beschwerde eines Kollegen)?
- Was muss verändert werden (z.B. Reagieren des Kollegiums per Mail, LMS etc.)?
- Was muss neu hinzukommen (z.B. Messaging-App)?
- Was kann gestrichen werden (z.B. analoges Mitteilungsbuch)?
Anhand dieses Clusters kann nun ein Schwerpunkt herausgesucht und nach Dringlichkeit gewichtet werden (je nach Setting und Anzahl der Verantwortlichen können auch mehrere oder sich ergänzende Aspekte in Betracht gezogen werden).
Den Entwicklungsprozess initiieren
An diesem Punkt bieten sich fünf Schritte an, die auf Basis der Bestandsaufnahme den Prozess für Veränderungen und Innovationen möglich machen. Die einzelnen Stationen einer systematischen Qualitätsentwicklung lauten: Analysieren, entwickeln, festlegen, testen, entscheiden.
- Analysieren: Problem – Wie ist die Situation (Status Quo)?
- Entwickeln: Welche Ideen existieren zur Lösung?
- Festlegen: Welcher Lösungsansatz und welche Herangehensweise sind sinnvoll?
- Testen: Wie werden Testphase und Reflexion durchgeführt?
- Entscheiden: Was erweist sich als sinnvoll?
Im ersten Schritt wir der Status Quo bestimmt. Es folgt eine (kreative) Ideenfindung, welche Lösungen in Frage kommen könnten. In der Phase der Festlegung entscheidet sich die Gruppe bzw. der/die Verantwortliche für eine ausgewählte Herangehensweise. Daraufhin steht die Testphase im Mittelpunkt. Hier entscheidet sich, wer eine bestimmte Veränderung wie lange testet, idealerweise nach festgelegten Kriterien. Im Anschluss an die Testphase schließt sich nun eine Reflexionsphase an, inwiefern die Herangehensweise Veränderung im positiven oder negativen Sinne herbeigeführt haben. In der Phase der Entscheidung kann nun festgelegt werden, ob bestimmte Strukturen verbindlich verändert werden (z.B. durch ein Votum auf der Lehrerkonferenz). Eine Festlegung sollte trotzdem stets mit einer angekündigten Bilanzierung verknüpft werden. Denn es kann nach einem Jahr durchaus passieren, dass sich Strukturen trotz verantwortungsvoller Prozessentwicklung als nicht geeignet erweisen und noch einmal modifiziert werden müssen.
Der Prozess ist iterativ zu denken, das heißt, dass diese Schritte nicht nur einmal durchlaufen werden, sondern wiederholt bzw. auch flexibel gehandhabt werden können. In diesem Sinne kann bei einer negativen Bilanz in der Testreflexionsphase noch einmal ein Blick auf die Problemanalyse in Schritt eins geworfen und die Probleme bzw. Hindernisse als solche erweitert werden. Die dargestellte Fünf-Schrittigkeit kann sich über wenige Wochen, Monate oder auch Jahre strecken, je nach Umfang des Anliegens.
Beispiel: In einer Grundschule gibt es zu viele Kommunikationskanäle
- Analysieren: Problem – Wie ist die Situation (Status Quo)?
In den Pandemie-Schuljahren haben sich in einem Kollegium einer Grundschule die Kommunikationsstrukturen teilweise verselbstständigt. Neben dem Informationsfluss per Mail gibt es einen Chatbereich in der Lernplattform, eine halb-formelle WhatsApp-Gruppe, hier und da Nachrichten über den Schulmanager-Online (digitale Schulverwaltungssoftware) sowie über Fächer im Lehrer*innenzimmer. Teile des Kollegiums sind unzufrieden, weil die Informationen der Schulleitung mal über den einen, mal über den anderen Kanal zu ihnen gelangen. Gleichzeitig besteht die Schulleitung aber darauf, dass immer alle Kanäle im Blick behalten werden müssen. Im Alltag führt das dazu, dass Vertretungen versäumt, Termine übersehen oder Rückläufe nicht rechtzeitig abgegeben werden, was auf beiden Seiten zu großer Unzufriedenheit führt.
- Entwickeln: Welche Ideen existieren zur Lösung?
Nach der Bestandsaufnahme sollte sich das Kollegium zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wie das beschriebene Problem gelöst werden kann. Ansätze könnten darin bestehen, die Kommunikationsstrukturen zu vereinfachen, eine Dienstvereinbarung zu treffen oder mehrere „alte“ Systeme durch ein umfangreicheres neues zu ersetzen.
- Festlegung: Welcher Lösungsansatz und welche Herangehensweise sind sinnvoll?
Im nächsten Schritt wird ein Ansatz in den Fokus gerückt und sich für dessen Erprobung entschieden (z.B. per Abstimmung). Zusätzlich wird gemeinsam überlegt, welche weiteren Schritte bis wann sinnvoll sind.
- Testen: Wie werden Testphase und Reflexion durchgeführt?
Darüber hinaus müssen für die Testphase Zeiträume (z.B. bis zu den nächsten Ferien) sowie Verantwortliche festgelegt werden. Je nach Art der Lösung gilt es bspw., Fortbildungen zu organisieren oder sich in die Administration einer neuen Plattform einzuarbeiten.
- Entscheiden: Was erweist sich als sinnvoll?
Nach der Testphase werden Rückmeldungen gesammelt und besprochen. Hier kann es notwendig sein, Entscheidungen zurückzunehmen oder anzupassen. Insofern ein gangbarer Weg gefunden wurde, kann der Prozess (vorerst) abgeschlossen werden, indem eine verbindliche Lösung festgelegt wird. Bezogen auf das Beispiel könnte sich das Kollegium verständigen, die WhatsApp-Gruppe nur für die private Kommunikation zu nutzen, dienstliche Kommunikation über den Schulmanager abzuwickeln und die Lernplattform nur für die Kommunikation mit Schüler*innen zu nutzen.
Der Prozess auf lange Sicht
Da die zeitlichen Ressourcen in der Schule begrenzt sind und viele Kolleg*innen bereits mit den wichtigen alltäglichen Aufgaben ihre Arbeitskapazität ausschöpfen, fällt es häufig schwer, wiederholend auf die Funktionalität bestimmter Entscheidungen und Veränderungen zu schauen. Hierin liegt jedoch ein Schlüssel, denn je mehr sich Strukturen wie in diesem Beispiel etablieren, desto gewinnbringender kann Schulentwicklung und deren positive Auswirkung im Sinne der Effizienz sein. Auf lange Sicht schont dieser Prozess die Ressourcen des Kollegiums, da verlässliche und bewährte Strukturen, die auf ihre Funktionalität und Effizienz regelmäßig überprüft werden, den Schulalltag entscheidend entlasten. Das Fehlen etablierter Strukturen oder das Ausbleiben einer Testphase kann im Kollegium zu großer Unzufriedenheit und zu personengebundenen Schuldzuweisungen führen, zumal es sich in den meisten Fällen um systemisch verursachte Dysfunktionalitäten handelt und meist keine Person persönlich verantwortlich ist.
Ein weiterer elementarer Aspekt stellt sicherlich das Einbeziehen des gesamten Kollegiums bei solchen Prozessen dar. Wenn Entscheidungsprozesse oder Schulentwicklungsaufgaben lediglich bei einer kleinen Gruppe von Verantwortlichen verbleiben, werden sie nicht von den eigentlich betroffenen – z.B. das Kollegium – gelebt bzw. überhaupt als reale Handlungsoption gesehen. So entstehen lediglich Veränderungen „auf dem Papier“, sodass der Aufwand des Prozesses in keinem Verhältnis steht.
Organisatorisches Setting: Zeit, Verantwortliche, Dokumentation
Neben dem dargestellten iterativen Prozess ist ein organisatorischer Rahmen zu empfehlen. Zeitfenster, Verantwortliche und eine Dokumentationsform sollten festgelegt werden. Intuitives Vorgehen mit losem Zeitfenster bietet sich bei kommunikativen Themen nicht an – das würde das eigene Anliegen unterlaufen. Somit ist direkt festzulegen, welcher Zeitraum angepeilt werden soll, wer für was in welchem Umfang verantwortlich ist und welche Dokumentationsform die geeignetste ist. Bei der Entscheidung der Dokumentation kann die Prämisse gelten, dass es zum einen das kollaborative Arbeiten der Verantwortlichen sichert (z.B. ein Kanban-Board oder eine kollaborative Datei), zum anderen kann überlegt werden, wie das Kollegium möglichst niederschwellig über den Stand des Prozesses informiert werden kann (z.B. über eine analoge Visualisierung oder eine kurze Zusammenfassung auf jeder Lehrerkonferenz).
Bei Schulentwicklungsfragen ist der Informationsfluss und die Partizipation des gesamten Kollegiums stets von großer Bedeutung, denn nur wer informiert ist und an der ein oder anderen Stelle mitentscheiden konnte, ist auch bereit, die neuen Strukturen zu leben und in die Umsetzung zu kommen.
Quellen:
- Eco, Umberto (2002): Einführung in die Semiotik. Fink/UTB: Paderborn.
- Huber, Stephan Gerhard (2021): Schule neu erfinden oder nach dem Spuk wie vorher? Empfehlung zur Arbeit mit der BIO-Strategie – Schulentwicklung in der Balance von Bewahren, Optimieren, Innovieren. In: Schule Verantworten | führungskultur_innovation_autonomie, 1(1), 66–74., URL: https://doi.org/10.53349/sv.2021.i1.a74 (Zuletzt aufgerufen am 24.2.23).
- Kühl, Stefan (2018): Organisationskulturen beeinflussen. Bielefeld: Springer.
Kaja Knapp ist Lehrerin in Hamburg sowie Referentin und Trainerin in Lehrer*innenfortbildungen. Zudem ist sie Geschäftsführerin von Skyla GmbH – einem Bildungs-Startup, dessen Software Lehrkräfte im Alltagsmanagement entlasten kann.
Kontakt: kaja.knapp.hamburg(at)gmail(dot)com
Zum Weiterlesen:
Das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) hat einen umfassenden Moodle-Kurs zur schulischen Qualitätsentwicklung veröffentlicht – entwickelt von Niels Winkelmann und Nele Hirsch. Den unter der Lizenz CC BY 4.0 freigegebenen Kurs “Schule selbst gestalten und effizient entwickeln” findet ihr hier.
Bildnachweis in der Titelgrafik: PrettyVectors via istockphoto.com
Veröffentlicht am 16. März 2023