Ein Plädoyer von Martin Karacsony
Ende 2022 ging ein kleiner Aufschrei durch die digitalen Lehrerzimmer bei Twitter und bei Mastodon (#twlz und #fedilz) – Quizlet wird für Lernende kostenpflichtig und Kahoot lässt sich in der Basisversion nur noch mit einer begrenzten Anzahl von Personen spielen. Damit werden zwei beliebte Tools zur Erstellung digitaler Lernmaterialien für viele im schulischen Kontext unbrauchbar. Zwar scheinen beide Firmen ein paar Wochen später etwas „zurückgerudert“ zu sein[1] – jedoch zeigt der Schritt dieser Anbieter, dass sie grundsätzlich kommerziell sind und somit eher ein monetäres als ein öffentliches Interesse verfolgen.
Inhaltsverzeichnis
Auch andere Seiten bieten keine Garantie auf Kostenfreiheit
Sicher, es gibt auch weiterhin Seiten im Internet, die interaktive Lehr-Lerninhalte kostenfrei zur Verfügung stellen. So ist die ebenfalls unter Lehrkräften sehr beliebte Seite „Learningapps“ mit der Endung „.org“ versehen, die ursprünglich von gemeinnützigen Organisationen, NGOs und Bildungsplattformen verwendet wurde[2]. In diesem Fall handelt es sich aber um einen Verein, der auf Spenden angewiesen ist und mit kommerziellen Sponsoren wie dem Raabe-Verlag und der Post zusammenarbeitet. Zudem gibt es auch hier keine 100%ige Sicherheit, dass die auf der Seite erstellten Inhalte für immer und ewig kostenlos zur Verfügung stehen werden.
Etwas Eigenes muss her
Für mich ist es eindeutig: Etwas Eigenes musste her. Gesucht war eine Software für interaktive Inhalte, die mir gehören und keine Kosten für die Erstellung und/oder Nutzung verursacht. Mit der ich auch weiterhin meinen Unterricht mit digitalen Elementen durchführen kann. An dieser Stelle kommt das Werkzeug H5P ins Spiel[3]. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Anbietern interaktiver Lehr-Lern-Inhalte ist H5P eine freie und quelloffene Softwarte. Frei und quelloffen heißt, dass der Programmcode offen und für jeden erreichbar ist. Das bedeutet, dass die Software, die zur Erstellung eigener Inhalte auf der Basis von H5P (Kurzform von HTML5) nötig ist, von jeder Person und ohne Gebühren genutzt werden kann. Die erstellten Inhalte sind damit nicht in einem geschlossenem System „gefangen“, können weitergegeben und von anderen bearbeitet werden. Somit entstehen immer mehr H5P-Inhalte, die nicht nur individuell genutzt, sondern auch ideal geteilt werden können – Frei nach dem Motto „share and care“ und somit den Grundgedanken von OER[4] folgend.
HTML-Inhalte können ohne eigene Programmierkenntnisse erstellt werden
Aber wie erhalte ich diese derzeit ca. 50 verschiedenen interaktiven Inhalte, wenn es keinen konkreten Anbieter im Internet gibt? Die Frage klingt nach mehreren Jahren Corona und dem damit verbundenen Anstieg an Anbietern von Tools und Seiten berechtigt, lässt sich aber relativ schnell beantworten: Ich erstelle die Inhalte selbst. Alles, was hierfür benötigt wird, ist ein sogenannter H5P-Editor, der es Lehrkräften auch ohne konkrete Kenntnisse ermöglicht, fertige HTML5-Packete zu erstellen.
Lehrkräfte, die Moodle als Lernmanagement-System (LMS) nutzen, können innerhalb dieser Plattform direkt auf einen Editor zugreifen. Doch das ist nicht immer die beste Variante. Ein aus meiner Sicht sehr empfehlenswerter Editor wird von Lumi Education unter https://app.lumi.education/ zur Verfügung gestellt (ebenfalls Open Source, im Folgenden kurz Lumi). Hier gibt es zum einen die Möglichkeit, sich zu registrieren und online eigene Inhalte zu erstellen, zu archivieren und zu teilen. Zum anderen kann Lumi als Desktop-Anwendung auf dem eigenen Rechner für verschiedene Betriebssysteme installiert werden. So ist es möglich, auch ohne eine ständige Internetverbindung Inhalte zu erstellen. In beiden Varianten können H5P-Dateien auf dem eigenen Rechner heruntergeladen und gespeichert werden.
Es ist meine Datei – mein Eigentum
Derzeit ist mir keine interaktive, web-basierte Software bekannt, die es mir ermöglicht, meine Inhalte auf meinem eigenen Rechner abzuspeichern. Sicherlich kann man bei einigen Anbietern die erstellten Inhalte in eine *.pdf- oder *.csv-Datei herunterladen, aber was nützt mir ein Kahoot-Quiz als *.pdf-Datei?
H5P – das „P“ steht für Packet – ist hingegen ein eigenständiges Dateiformat, welches mit jedem anderen H5P-Editor geöffnet und bearbeitet werden kann. Ähnlich wie ein Schriftdokument in Word oder einer Tabelle in Excel. Und diese Dateien können ohne Probleme auf der eigenen Festplatte gespeichert werden. Keine Cloud, es ist meine Datei – mein Eigentum.
Basics statt optisches Feuerwerk
Schaut man sich die unterschiedlichen H5P-Inhaltstypen an, stellt man fest, dass viele nicht nur inhaltlich unterschiedlich aufgebaut sind, sondern oftmals auch optisch. Das liegt am Open-Source-Gedanken hinter H5P, der es Nutzenden möglich macht, eigene Inhaltstypen zu programmieren.
Die Tatsache, dass uns mit H5P derzeit ungefähr 50 verschiedene Inhaltstypen zur Verfügung stehen, bedeutet zudem auch, dass es viele kreative und somit auch individuelle Möglichkeiten gibt, diese Inhalte zu unterschiedlichen Zwecken oder Zeitpunkten im eigenen Unterricht einzusetzen. Hinzu kommt, dass die vielen verschiedenen Inhaltstypen auch unterschiedliche Wahrnehmungskanäle ansprechen können.
Einen guten Überblick hierzu bietet die Seite https://h5p.glitch.me/index.html von Nele Hirsch (bekannt als eBildungslabor). Hier können Lehrkräfte sich sowohl inspirieren als auch informieren lassen, welche Einsatzmöglichkeiten H5P-Typen bieten. Darüber hinaus bietet die Seite aber auch die Option, die Inhaltstypen nach unterschiedlichen medialen Schwerpunkten zu sortieren.
Damit wird eine grundsätzliche didaktische Vorgehensweise bei der Gestaltung von Unterricht unterstützt. Denn ich muss mir als Lehrkraft erst über die Ziele und Inhalte meines Unterrichts bewusstwerden, bevor es an methodische Überlegungen geht. Hier heißt es konkret, mit welchem Medium gearbeitet und welches unterrichtliche Ziel damit verfolgt werden soll? Sobald diese Fragen beantwortet sind, hilft die Seite von Nele Hirsch dabei, den passenden Inhaltstyp zu finden.
H5P-Inhaltstypen nach Bedarf auswählen
Die unterschiedlichen Inhaltstypen dienen dann dazu, die jeweiligen didaktischen und/oder fachlichen Ziele zu erreichen. Beispielweise kann ich meinen Lernenden eine Übung geben, welche Inhalte in einem Vorstellungsgespräch angebracht sind, indem sie diese in einem Text richtig zuordnen.
Beispiel „Textzuordnung“
Einfacher und weniger von Lesekompetenz abhängig wäre eine Herangehensweise über die Zuordnung aussagekräftige Bilder (passend/unpassend), welche mit einem anderen Inhaltstyp erstellt werden kann.
Beispiel Bildzuordnung:
Neben der Möglichkeit, Wissen via Text oder Bild zu vertiefen oder zu wiederholen, können über andere Inhaltstypen auch Informationen bereitgestellt werden. Ein sehr charmanter Weg ist hier der sogenannte Image-Hotspot, welcher die Möglichkeit bietet, auf einer Grafik unterschiedliche Informationstypen wie Video, Audio, Text oder Links zur Verfügung zu stellen.
Beispiel „Image-Hotspot“[5]:
Fazit
Die ca. 50 Inhaltstypen von H5P[6] lassen sich vielseitig im Unterricht einsetzen – auch wenn sie nicht immer optisch perfekt und so interaktiv wie die Produkte kommerzieller Anbieter sind. Werden diese zusätzlich in ein LMS eingebunden, können zudem sogenannte Voraussetzungen oder Abschlussbedingungen definiert werden, was die didaktischen Möglichkeiten noch einmal erhöht. Aber auch der Gamification-Ansatz im Unterricht kann mit Hilfe von H5P verfolgt werden. Zudem ermöglichen einige Inhaltstypen auch die optische Aufwertung des eigenen Kurses in einem LMS, indem zum Beispiel mit einer Collage oder gar einer 360°-Tour gearbeitet wird. Und am Ende kann mit bestimmten Inhalten auch einfach ein wenig Schabernack angestellt werden.
Teile und tue Gutes!
Neben den bereits genannten Seiten wie h5p.glitch und Lumi kann man sich ebenso auf der Seite des h5p-Kernteams orientieren und informieren. Darüber hinaus gibt es mittlerweile eine eigene Community, welche ihre eigenen H5P-Inhalte für andere zur Nutzung aber auch Veränderung im Sinne von OER zur Verfügung stellt. Eine wesentliche treibende Kraft ist hier der Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e. V. (kurz: ZUM), welche auf ihrer Seite https://apps.zum.de/ eine Austauschplattform für Unterrichtsmaterialien in Form von H5P zur Verfügung stellt und somit direkt den Kerngedanken von H5P aufgreift. Zudem bietet auch Lumi seit kurzem einen Austauschbereich an, was zeigt, dass die Community weiter am Wachsen ist.
[1] Stand 17.12.2022 bietet Kahoot eine kostenlose Basic-Variante mit bis zu 40 Teilnehmenden an. Und auch Quizlet scheint laut Homepage mit dem Plus-Abo auf Werbung zu verzichten und Offlinelernen anzubieten, macht sonst aber auf der Preisübersicht keine generellen Einschränkungen deutlich.)
[2] Quelle: .de .org, .com. oder .net? Was bedeuten diese Endungen und welche Domain-Endung solltest du wählen? (wix.com)
[3] Siehe: H5P – Wikipedia
[4] Siehe: Open Educational Resources – Wikipedia
[5] Natürlich geht es wie bei allen Lehrinhalten auch hier darum, dass das Urheberrecht bei der Erstellung digitaler Inhalte Beachtung findet. Aufgrund des zentralen OER-Gedankens bei H5P hat die „saubere“ Arbeit mit Quell- und Lizenzangaben einen hohen Stellenwert.
[6] Siehe: Examples and Downloads | H5P
Martin Karacsony ist Berufsschullehrer für wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterrichtsfächer in Hamburg. Schwerpunktmäßig befasst er sich sich mit dem Themen „Heterogenität und Digitalisierung“, “Inklusion und Bildungsgerechtigkeit” sowie “Demokratiepädagogik und – förderung”. Bei Twitter und Mastodon ist er unter @Mister_Karedu bzw. @Mister_Karedu@bildung.social zu finden.
Für den Beitrag sowie die darin enthaltenen Übungen gelten die folgenden Lizenzbedingungen: CC-BY-SA 4.0 Martin Karacsony. Das Global OER Logo stammt von Jonathas Mellounter und ist via UNESCO unter der Lizenz CC BY 3.0 veröffentlicht.
Ebenfalls interessant:
Video-Tutorial von Thomas Moch: Mit Lumi interaktive H5P Aufgaben als HTML exportieren – Online und Offline nutzbar ohne Website.
Video-Tutorial der Medienberatung Niedersachsen: Tutorial zur Integration von H5P in Taskcards mit Lumi.
Veröffentlicht am 18. Februar 2023
Danke für den schönen Beitrag. Bei einem Absatz kam ich allerdings etwas ins Schleudern.
“Zwar wünscht sich das Kernteam, dass alle Inhalte das gleiche „Aussehen“ haben, sowohl bei der Ausführung als auch bei der Erstellung im Editor. Nutzenden ist es aber grundsätzlich möglich, eigene Inhaltstypen zu programmieren.”
Die Aussage wäre mir von Seiten den H5P-Kernteams neu. Selbst die vom H5P-Kernteam erstellten Inhalte folgen keinem einheitlichen Design, vgl. etwa Multiple Choice mit Flashcards mit Word Cloud. Es gibt auch keinerlei Designrichtlinie, an die man sich halten könnte. Richtig ist, dass das H5P-Kernteam den (externen) Programmierer*innen möglichst viel Freiraum lassen möchte – und dass sich dann in der Tat nicht alles rund zusammenfügt.
“Dabei kommt zurzeit HTML5 zum Einsatz, was dafür verantwortlich ist, dass andere Angebote kommerzieller Anbieter etwas „hipper“ und „hübscher“ daherkommen.””
Nein. HTML5 (oder schlicht HTML, die 5 erübrigt sich inzwischen) ist Bestandteil jeder Website und hat mit den Möglichkeiten für das Styling überhaupt nichts zu tun. Der Grund für ein “einfacheres” Design ist jedenfalls kein technischer.
Viele Grüße
Oliver
Lieber Oliver,
vielen Dank für deine Hinweise. Wir haben die Textstelle entsprechend ausgebessert!
Viele Grüße, JF