Rezension zum gleichnamigen Buch von Hans-Günter Rolff und Ulrich Thünken
Die Corona-Pandemie hat es notwendig gemacht, Unterricht digital und über die Distanz zu organisieren. Durch die Schulschließungen hat sich ein Entwicklungsfenster geöffnet, das zahlreiche Schulen zur Entdeckung und Etablierung digitaler Arbeitsweisen genutzt haben. Die große Mehrheit der Schulen hat in dieser Zeit in hohem Tempo begonnen, die Versäumnisse der digitalen Schulentwicklung nachzuholen. Dabei müssten sie nicht bei Null beginnen, sondern können sich an Schulen orientieren, die derartige Prozesse systematisch und in Ruhe vor der Pandemie vollzogen hatten (und während des Lockdowns davon profitieren konnten). Rolff und Thünken stellen in ihrem Buch „Digital gestütztes Lernen – Praxisbeispiele für eine zeitgemäße Schulentwicklung“ zwei Gymnasien vor, die digital gestütztes Lernen erfolgreich und nachhaltig implementieren konnten. Anhand dieser Fallstudien kann nachvollzogen werden, welche Schritte dafür notwendig sind.
Die Autoren stellen in ihren Fallstudien das Theodor-Heuss-Gymnasium aus Göttingen und das Evangelisch Stiftische Gymnasium Gütersloh vor. Erfreulicherweise fragen sie nicht mehr danach, ob digital gestütztes Lernen eingeführt werden soll, sondern wie dies konkret erfolgen kann. Es geht ihnen darum, konkrete Hinweise für eine praktische und konzeptionelle Implementierung zu geben. Den Kern bilden Fragen der Schulentwicklung, in denen das digital gestützte Lernen in den Mittelpunkt der Bemühungen gerückt wird (eine Ausdrucksweise übrigens, die ich treffender und differenzierter finde als die bisherigen Versuche rund um „digitale Bildung“, „digitales Lernen“ oder „Digitalisierung des Unterrichts“).
Die Fallstudien umfassen neben einem kurzen Steckbrief der beiden Schulen einen Blick ins Schulprogramm, einen Auszug aus deren Medienkonzept und eine Beschreibung der Entwicklungspfade. Die beiden Kapitel sind dabei durch Umfrageergebnisse, Aussagen der Schulleitungen und kurze Interviews aufgelockert und ermöglichen damit einen „direkten Kontakt“ zu den entsprechenden Akteur*innen. Darüber hinaus wird die Weiterentwicklung der Unterrichtskultur in den Blick genommen, die sich etwa an neuen Formen der Kooperation und an einer Personalisierung des Lernens zeigt. Für Schulleitungen, die sich an den aufgezeigten Beispielen orientieren möchten, dürften die anschließenden Kapitel zu den Führungsstrukturen besonders interessant sein. Im Gegensatz zur Organisationsentwicklung impliziert das hier aufgezeigte Change Management nämlich eine herausragende Rolle des Führungspersonals, welches federführend für die Gestaltung des disruptiven Wandels verantwortlich ist. Es gilt der Leitsatz: Mit der Schulleitung läuft nicht alles, aber ohne sie läuft gar nichts.
Rolff und Thünken betonen allerdings, dass nicht nur Schulleitungen diese neue Rolle annehmen müssen, sondern auch Lehrpersonen. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang den Begriff des „Digital Learning Leaderships“, mit dem die Autoren (der deutschen Akademie für Führungskräfte folgend) Personen meinen, die digital gestütztes Lernen selbst beherrschen und Prozesse der Digitalisierung an der eigenen Schule vorantreiben. Zusammen agieren sie mit der Schulleitung in einem Netzwerk (und darüber hinaus), haben an den aufgezeigten Schulen entsprechende Fortbildungskonzepte entworfen und die vorhandenen Ressourcen genutzt, um die besonderen Potentiale (nicht Mehrwert) des digital gestützten Lernens aufzuzeigen.
Für wen ist dieses Buch geeignet?
Die Autoren machen mit ihren Fallstudien Lust, Prozesse der digitalen Schulentwicklung an der eigenen Schule in Angriff zu nehmen. Die Zielgruppe sind Schulleitungen, Schulentwickler*innen, Akteur*innen aus den Fortbildungsnetzwerken, Personen aus der Schuladministration und Forschende und Lehrende aus den Institutionen der Lehrer*innenbildung. Wer darüber hinaus verstehen will, welchen Grundprinzipien eine zeitgemäße Schulentwicklung folgt, wird quasi im Vorbeigehen bedient. „Wirkung entsteht aus Zusammenwirken“, das machen Rolff und Thünken mehr als einmal deutlich.
Erwähnenswert erscheint mir noch der Anhang, der in diesem Fall viel mehr als ein Anhang ist. Hier finden sich fundierte Aufsätze zur Schulentwicklungsforschung, ein Plädoyer für cloudbasierte Lernräume, Hinweise zur Kriterien geleiteten App-Auswahl und ein Erfahrungsbericht zur Steuerungs- und Kontrollsoftware für die Unterrichtsentwicklung. In diesen vertiefenden Kapiteln kommen zudem Autor*innen zu Wort, die als Lehrpersonen an den vorgestellten Schulen arbeiten. Das Buch der beiden Autoren Hans-Günter Rolff und Ulrich Thünken vereint Visionen der Schulentwicklung mit den Realitäten an zwei Gymnasien, die digital gestütztes Lernen erfolgreich implementieren konnten. Die Fallstudien sind anschaulich, praxisnah und mit direkt umsetzbaren Hinweisen versehen, sodass interessierte und inspirierte Schulen direkt loslegen können. Empfehlenswert!
Veröffentlicht am 14. September 2020
Rolff, Hans-Günter/Thünken, Ulrich (2020): Digital gestütztes Lernen. Praxisbeispiele für eine zeitgemäße Schulentwicklung. Weinheim Basel: Beltz Verlag.
Inhaltsverzeichnis und Leseprobe…
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