Eine Rezension zum gleichnamigen Buch von Philippe Wampfler
Chats, Emojis, Blogs und soziale Netzwerke verändern seit Jahren die Kultur des Schreibens. Während Schüler*innen und viele Lehrkräfte diese Formen privat mit großer Selbstverständlichkeit nutzen, findet eine bewusste und produktive Auseinandersetzung im Unterricht eher selten statt. Die Schule hält überwiegend an klassischen – aus der Buchkultur stammenden – Textformaten fest. Der Deutschlehrer und Fachdidaktiker der Universität Zürich Philippe Wampfler will mit seinem Buch „Digitales Schreiben – Blogs & Co. im Unterricht“ einen Überblick über experimentelle digitale Schreibprozesse geben und Lehrkräfte zum Ausprobieren ermutigen. Er will Mut machen, mit digitalen Hilfsmitteln zu schreiben und darüber nachzudenken, was dabei passiert. Es geht ihm um Wege, um Schüler*innen (und vielleicht auch Lehrkräfte) beim Aufbau einer experimentellen Medienkompetenz zu begleiten.
Aufbau und Inhalte
Die Kapitel des Buches bauen aus fachdidaktischer Perspektive aufeinander auf, können aber für eine schnelle Anregung auch unabhängig voneinander gelesen werden. In der ersten Hälfte diskutiert Wampfler theoretisch, welche Ebenen und Funktionen dem digitalen Schreiben zugeordnet werden können, was er unter experimenteller Medienkompetenz versteht (Ausprobieren in realen Kontexten und anschließendes Reflektieren der Erfahrungen) und welche schreibdidaktischen Aspekte aus seiner Sicht hervorgehoben werden müssen. Dabei verweist er insbesondere auf den prozesshaften Charakter des digitalen Schreibens, auf die Notwendigkeit interaktionsorientierte Schreibanlässe zu schaffen, auf Möglichkeiten des gemeinsamen, also kollaborativen Schreibens und auf Querverbindungen zum produktionsorientierten Literaturunterricht. Wampfler, der selbst einen kulturpragmatischen Ansatz des Ausprobierens vertritt, wirbt damit für einen agilen Deutschunterricht, der sich an den Schreibformen der Realität orientiert.
Im zweiten Teil des Buches zeigt der Autor praktische digitale Schreibumgebungen auf, darunter Blogs, kollaborative Ansätze mit Etherpads und Padlets, das Schreiben in sozialen Netzwerken, den Kommentar als digitalen Kurztext sowie das Schreiben in Messengern, Chats und Wikis. Alle Schreibprojekte werden dabei in ihrem schreibdidaktischen Potenzial diskutiert und mit konkreten Beispielen vorgestellt. Darüber hinaus wird immer wieder darauf verwiesen, dass alle didaktischen Szenarien realen Vorbildern folgen und nicht aus der Luft gegriffen sind. Wampfler geht es um kompetentes Schreiben unter den Bedingungen der Digitalität, er will Schüler*innen zur internetbasierten Kommunikation befähigen. Das wird besonders in seinem Schlusskapitel deutlich, in dem er einen Blick in die Zukunft des Schreibens wagt und die Bedeutung dieser Fähigkeiten betont.
„Schreiben zu lernen bleibt eine zentrale Kompetenz, auch in der Kultur der Digitalität. Dem Deutsch- (und Fremdsprachen-) Unterricht kommt die Aufgabe zu, diese Kompetenz so auszubilden, dass Schülerinnen und Schüler sich auch in digitalen Kontexten präzise ausdrücken können und die erwähnte Entwicklung von Texten und Schreibwerkzeugen nicht einfach hinnehmen müssen, sondern sie aktiv mitgestalten können.“ (S. 130)
Für wen ist dieses Buch geeignet?
Die Stärke des Buches liegt meiner Meinung nach im Durchleuchten der Kultur der Digitalität und im Verstehen der Varianten, wie in ihr schriftsprachlich gehandelt wird. Der Autor selbst, und das merkt man beim Lesen, bewegt sich in dieser Kultur seit vielen Jahren erkundend und reflektierend. Dem zufolge fallen auch Themen wie der Hass im Netz, das Phänomen der Fake News, Fragen des Datenschutzes oder die zunehmende Verwendung von Bots nicht unter den Tisch. Für meinen Geschmack hätten diese Aspekte, insbesondere auch eine kulturkritische Auseinandersetzung mit der zunehmenden Verrohung des Kommunizierens im Internet, noch mehr beachtet werden können. Digitales Schreiben braucht speziell hinsichtlich dieser Phänomene eine klare Orientierung an Werten und Normen, also auch ein ethisches Fundament. Es erzeugt in vielen Fällen eben nicht nur eine Wirkung auf den Leser oder die Leserin. Schreiben im Internet erzeugt durch den Charakter der Öffentlichkeit auch eine Wirkung auf alle.
Philippe Wampfler ist es dennoch gelungen, einen Wegweiser für alle diejenigen zu schreiben, die digitale Medien und vor allem internetbasiertes Schreiben in den eigenen Unterricht einbinden wollen. Der kleine Reclam-Band bietet einen guten Überblick über die zahlreichen didaktischen Möglichkeiten des experimentellen digitalen Schreibens. Es dürfte nur derjenige enttäuscht sein, der eine didaktische Handreichung erwartet, mit deren Hilfe der Unterricht der nächsten Woche vorbereitet ist. Konkrete Stundenskizzen und ausgearbeitete Unterrichtsbeispiele sucht man vergeblich, ebenso wie die Anpassung auf die eigene Schulart und Jahrgangsstufe noch vorgenommen werden muss. Wie bereits in der Einleitung des Buches erläutert wird, will der Autor eher inspirieren und keine fertigen Pakete liefern. Dabei macht er Mut, pragmatisch an das Thema des digitalen Schreibens im Unterricht heranzutreten und damit zu experimentieren. Kurzum: Lehrkräfte, die Lust haben, ihr Repertoire im Deutschunterricht zu erweitern, sollten einen Blick riskieren. Andere, die sich für das digitale Schreiben interessieren oder in fachdidaktischen Kontexten unterwegs sind, dürften an der Veröffentlichung von Philippe Wampfler ohnehin nicht vorbeikommen.
Veröffentlicht am 3. Januar 2021
Wampfler, Philippe (2020): Digitales Schreiben. Blogs & Co. im Unterricht. Stuttgart: Philipp Reclam jun. Verlag.
Hier gehts zur Homepage von Philippe Wampfler und zu seinem lesenswerten Blog Schule Social Media.