Über generierte Inhalte, echte Lernprozesse – und den Auftrag an Schule
Hinweis: Dieser Beitrag ist aus einem LinkedIn-Post hervorgegangen und wurde für den Blog inhaltlich etwas erweitert und vertieft.

In Bezug auf generative KI hatten es die letzten Wochen in sich. Neben mächtigen neuen Modellen der großen KI-Wettbewerber (z. B. GPT-5 von OpenAI, Deep Think von Google und Claude Opus 4.1 von Anthropic) wurden der ChatGPT Agent sowie der vielbeachtete ChatGPT – Study Mode ausgerollt, ein spezieller Lernmodus (ähnlich der Gemini – Lernhilfe). Zudem kommen zahlreiche andere Tool-Anbieter mit beeindruckenden Funktionen daher. IIElevenLabs bietet etwa einen Songgenerator, Ideogram hat eine „Character“ – Funktion freigeschaltet, Manus kann mit der Funktion „wide research“ mehrere Agenten parallel einsetzen und Googles NotebookLM erstellt nun auch Lernvideos zu Inhalten. Gefühlt kommt all das schneller als wir es verarbeiten können – die Innovationen überholen sich selbst.
Ich verfolge diese Entwicklungen mit Neugier, Spannung und großer Faszination. Wo möglich, teste, erprobe und reflektiere ich neue Funktionen im Hinblick auf ihre Potenziale für Schule und Unterricht. Doch mit der Faszination wächst auch ein gewisses Unbehagen: Wie weit lassen wir agentische KI in unser Leben vordringen? Sind selbst geschriebene Texte eigentlich noch etwas wert? Und was bleibt dem Menschen, wenn KI immer müheloser zu kreativ wirkenden Ergebnissen kommt?
Storybook – eine neue Funktion in Gemini
Ein Tool, das mich besonders nachdenklich gestimmt hat, ist eine neue Funktion in Gemini, Googles KI-Anwendung, die auf eigenen Sprachmodelle basiert. Dort lassen sich seit kurzem sogenannte Storybooks erstellen. Innerhalb dieses Tools wird nach der Eingabe eines Prompts eine zehnseitige Bilderbuch-Geschichte mit Text und passenden Illustrationen generiert. Zur individuellen Gestaltung der Storybooks können Referenzmaterialien/Referenzbilder hochgeladen werden, man kann aber auch beschreiben, was man sich vorstellt. Die Funktion findet sich in der Seitenleiste von Gemini unter den sogenannten Gems und ist auch mit einem kostenlosen Account nutzbar. Die Gestaltung ist aktuell nur in der Browser-Version von Gemini möglich.

Die ersten Versuche waren – wie so oft bei neuen KI-Werkzeugen – eindrucksvoll. Ein knapper Prompt genügt für eine charmante, visuell ansprechende Geschichte. Damit reiht sich das Storybook-Tool ein in eine wachsende Zahl niedrigschwelliger, kreativer Anwendungen – geeignet für digitale Lernprodukte, kleine Gestaltungsaufgaben oder schlicht zur Unterhaltung.
Was wird noch übrigbleiben?
Beim Ausprobieren fragte ich mich allerdings: Welche kreativen Ausdrucksformen und Freiräume werden im digitalen Raum in ein paar Jahren noch übrigbleiben? Welche digitalen (Lern-) Produkte verlangen wirklich noch eigene kreative Leistung? Und gelingt es uns im schulischen Kontext, darauf zu reagieren – mit neuen Aufgabenstellungen, einer anderen Produkt-Prozess-Gewichtung und der gezielten Integration technischer Möglichkeiten? Vor allem: Wie bringen wir kreativen Ausdruck – mit und ohne KI – in Verbindung mit kognitiv aktivierenden Anforderungen, wenn Ergebnisse zunehmend automatisiert generiert werden?
Als Experiment habe ich genau diese Überlegungen in ein eigenes Storybook eingegeben – inklusive eines Referenzbildes im Pixar-Stil. Herausgekommen ist eine etwas kitschige Lehrer-Geschichte über vermeintlich „wahre“ Kreativität. Nett gemacht, wenn auch mit einem leicht nostalgischen Unterton und moralischem Zeigefinger. Aber vielleicht liegt in der Geschichte dennoch ein wahrer Kern.
Denn: Die Konzentration auf das reine digitale Produkt wird mehr und mehr zur Sackgasse. Entscheidend ist der Prozess des Schaffens – mit all seinen Umwegen, Brüchen und Unvollkommenheiten. Übertragen auf Schule heißt das: Lern- und Arbeitsprozesse, Tool- und Prompt-Design sowie individuelle Strategien werden mitsamt der Reflexion über das eigene Tun immer wichtiger (vgl. auch unser KI-Leitfaden Prüfen & Bewerten).
Zudem dürfen wir wohl davon ausgehen, dass der Anspruch an digitale Produkte durch derartige Tools steigt und noch weiter steigen wird. Dass der schnell geklickte Content kaum noch jemanden beeindruckt, sondern Tiefe erst durch eine persönliche Handschrift entsteht/entstehen muss und dass kluge Tool-Kombinationen (= App-Smashing) noch wichtiger werden.
Was heißt das für die Schule?
Für Schule ist das zugleich Auftrag, Chance und Herausforderung: Die kreative Auseinandersetzung mit Inhalten mithilfe von KI eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten. Voraussetzung ist, dass wir selbst verstehen, was möglich ist – und dass wir es unseren Schüler*innen zeigen, zugänglich machen, beibringen und/oder gemeinsam mit ihnen entdecken.
Vielleicht müssen wir dann gar nicht nach der einen „wahren“ Kreativität suchen. Vielleicht geht es vielmehr darum, auszuloten, wie sich Kreativität verändert – und wohin sie sich erweitert. KI kann in diesem Prozess ein Helfer sein: eingebettet in ein Spektrum aus Lernmotiven, gestalterischen Ideen und ko-konstruktivem Arbeiten. Als Hebel, um Ideen umzusetzen. Und als Werkzeug, um im Sinne einer expansiven Lernhaltung neue Räume zu erschließen.

Was denkt ihr: Wohin wird sich Kreativität im KI-Zeitalter entwickeln? Auf welche Fähigkeiten wird es dabei ankommen? Und wie können wir diese durch passende Aufgabenformate in Schule und Unterricht fördern?
Veröffentlicht am 11. August 2025