Eine Rezension zum gleichnamigen Buch von Teresa Zierer, Judith Holle und Björn Adam
Müssen wir aktiv verlernen, wie Schulen zu funktionieren haben, um sie grundlegend zu transformieren? Diese Frage stellen die Autor*innen Teresa Zierer, Judith Holle und Björn Adam in ihrem Buch „Unlearn School – Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft“. Das über 550 Seiten starke Kompendium wurde 2023 vom Sozialunternehmen beWirken herausgegeben und macht schon auf dem Cover deutlich, worum es geht: Es will für die Veränderung von Schule und Lernen inspirieren, Theorie und Praxis verknüpfen und anhand von 16 Beispielen zeigen, wie die Transformation konkret aussehen kann.
Wie ist das Buch aufgebaut?
Die Autor*innen haben ihr Buch in vier umfangreiche Kapitel untergliedert, die am Stück oder unabhängig voneinander gelesen werden können. Teil I umfasst auf kompakte Art und Weise alle Aspekte, die Leser*innen zur Orientierung brauchen (Idee, Check-in, Einführung in die Grundbegriffe). Teil II erschließt dann ein größeres Feld und entfaltet fünf Dimensionen für den Lernkulturwandel. Vertieft werden das eigenständige Lernen, Lernbegleitung und offene Formen von Unterricht, die Gestaltung von Lernorten, das Lernen in der Digitalität und die Zusammenarbeit in der Schulgemeinschaft. Teil III beschreibt schließlich Wege zum Lernen der Zukunft, während Teil IV den Abschluss des Buches markiert (Check-out, Team, Glossar, Vernetzungs- und Lesetipps).
Beim Lesen wird schnell deutlich, dass „Unlearn School“ auf vielfältige Weise zeigen möchte, wie Schulen aussehen, in denen Schüler*innen Selbstwirksamkeit erfahren und Verantwortung für ihr Lernen übernehmen. Dazu haben die Autor*innen 8 Schulen besucht, um anhand von 16 Beispielen zu demonstrieren, was schon alles probiert wird. Darunter finden sich z.B. die Ernst-Reuter-Schule (Karlsruhe) mit ihren good-practice-Beispielen „Thea“ und dem Fach „L.E.B.E.N.“, die Richtsberg-Gesamtschule (Marburg) mit dem „PerLenWerk“ oder das Theresianum (Mainz) mit der Arbeit in Jahrgangsparlamenten.
Was fällt auf?
Alle good-practice-Beispiele sind grafisch ansprechend aufbereitet, bebildert und mit weiterführenden Materialien ausgestattet. An vielen Stellen kommen zudem die Akteur*innen in Interviews selbst zu Wort, darunter auch Schülerinnen und Schüler. Die Aufmachung ist abwechslungsreich, was auch dadurch verstärkt wird, dass QR-Codes immer wieder dazu einladen, den medialen Zugang zu wechseln. Als Leser*in findet man einerseits filmische Episoden zu den jeweiligen Schulen (fünf Dokumentarfilme, auch auf YouTube und der Website von beWirken zu finden). Andererseits hat das Team von beWirken verschiedene weiterführende Materialien erstellt und verlinkt, darunter mehrere Audio-Bausteine („Das sprechende Buch“).
Besonders gefallen haben mir die „Unlearn-Seiten“, die immer am Ende eines Kapitels stehen. Hier wird in Bezug auf den Inhalt der vorangegangenen Seiten aufgeführt, was ver– und was gelernt werden kann. In Bezug auf die Gestaltung von Lernorten dürfen wir zum Beispiel verlernen, den Raum Schule als Flurschule zu denken oder als Ort der reinen Wissensvermittlung zu verstehen. Stattdessen dürfen wir Schule als Lebensort begreifen, pädagogische Konzepte vor Quadrameter-Zahlen setzen und nicht schultypische Orte als Lernorte aktivieren. Der Buchtitel ist also nicht bloß Etikett, sondern vielmehr roter Faden und zugleich ein Appell an die Leser*innen.
Zitat: „Für die Veränderung von Schule und Lernen in einer Welt der Digitalität mit den Herausforderungen der Zukunft liegt es an uns als Gesellschaft, als Lehrende und auch als Lernende, mutig neue Perspektiven einzunehmen und freudvoll zu verlernen. Die vielen Gedanken und Beispiele in diesem Buch sind daher auch Einladungen, neu auf Gelerntes zu blicken und mutig hinzuschauen, zu hinterfragen und loszulassen.“ (S. 39)
Hervorheben möchte ich zudem eine Grafik auf S. 497, mit denen die Autor*innen die fünf Dimensionen des Lernkulturwandels visualisiert haben. Sie steht unter CC-Lizenz, sodass ich sie im Rahmen dieser Rezension verwenden kann. Sie eignet sich zum Beispiel dafür, Veränderungsprozesse in der eigenen Schule in unterschiedlichen Tiefen zu verstehen und notwendige Schritte für den Schulentwicklungsprozess zu identifizieren. Die einzelnen Dimensionen (Zusammenarbeit, Lernbegleitung, Eigenständiges Handeln, Gestaltung von Lernorten und Digitalität) können dann systematisch angegangen werden.
Fazit
All das lädt in seiner Mischung aus (zugänglich aufbereiteter) Theorie, Praxis, multimedialer Umsetzung, Interviews und Reflexionsfragen zum Schmökern ein. „Unlearn School“ ist ein gewinnbringendes Buch für die eigene Inspiration und zum gezielten Nachschlagen. Aus meiner Sicht lebt es vor allem davon, dass es greifbar macht, welche Bereiche schulische Transformation umfassen und wie ein umfassender Lernkulturwandel konkret aussehen kann. Die Ideen stecken an, weil sie nicht nur ausgedacht sind, sondern vorgelebt werden. Und wer sich ermutigt fühlt, eine von ihnen anzupacken, findet in „Unlearn School“ gleich die passenden Netzwerk-Partner*innen.
Anwärter*innen und Lehrkräfte, Schul- und Seminarleitungen, Bildungsinteressierte und Bildungsbegeisterte dürfen bedenkenlos zugreifen – vor allem, wenn ihnen die Weiterentwicklung von Schule am Herzen liegt. Und wer keine gedruckten Bücher mehr möchte (das Quer-Format des Buches ist bei dieser Seitenzahl zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig), der kann entweder auf das E-Book ausweichen, bei den Dokumentarfilmen oder der ebenso empfehlenswerten Website von beWirken vorbeischauen. Klare Leseempfehlung!
Quelle: Zierer, T./Holle, J./Adam, B. (2023): Unlearn School. Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft. Lüneburg: beWirken GmbH.
Veröffentlicht am 7. September
Danke für die Rezension! Genau das ist der Punkt, dass die Veränderung der Bildungslandschaft nur als eine Art Revolution von unten geschehen kann.
Glücklicherweise gibt es wunderbare Beispiele, wie die Richtsbergschule in Marburg, die Projektschule Dresden und die Friedrich Wilhelm Raiffeisen-Schule in Wetzlar.
Gut, dass es dieses Buch gibt, ich werde es mir besorgen, da ich mich sehr für die Veränderungen von Schule einsetze, als Mutter von zwei hochbegabten Kindern, die die Schule verweigert haben.