Ein Gespräch mit Leonie Feitenhansl über das Churermodell, digitale Lernbüros und den Mut, schulische Veränderungen zu initiieren
Schulische Veränderungsprozesse können durch Verordnungen von „oben“ angestoßen werden oder aus Initiativen von Lehrkräften einer Schule entstehen. Aus Schulentwicklungsperspektive ist letzteres meist nachhaltiger, etwa wenn Vorstöße zur Weiterentwicklung von Unterricht bei den tatsächlichen Bedürfnissen der Beteiligten vor Ort ansetzen. Neben guten Konzepten braucht es dann allerdings Vorbilder, die diese neuen Wege erkunden, ihre Erfahrungen weitergeben und Kolleginnen und Kollegen auf ihrem Weg mitnehmen.
Die Grundschullehrerin Leonie Feitenhansl ist eine solche Kollegin, die innovative Unterrichtskonzepte erprobt und ihr Wissen darüber zur Verfügung stellt. Im Rahmen ihres Instagram-Accounts (@kunstundstunde) gewährt sie Einblick in ihre (offene) Art des Unterrichtens, in die Vorzüge des Churer Modells und in die Arbeit mit dem Schulhund Zizou. Und sie zeigt, dass Lehrkräfte nicht auf Veränderung warten müssen, sondern selbst damit beginnen können – auch wenn es anfangs vielleicht nur kleine Schritte sind.
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Liebe Leonie, in deinem Instagram-Profil steht der Hashtag „#seidieveränderung“. Was meinst du damit in Bezug auf deine Arbeit in der Schule?
Es geht darum, mutig zu sein und sich zu trauen, einen ersten Schritt zu machen.
Durch die Einblicke, die ich auf meinem Instagram-Profil teile, möchte ich anderen zeigen, dass Veränderung möglich ist. Jeder kann mutig sein, auch in den kleinsten Dingen. Der Hashtag ermutigt dazu, nicht darauf zu warten, dass Veränderung einfach passiert, sondern aktiv selbst die Veränderung zu gestalten. Es geht darum, sichtbar zu machen, dass jeder Einzelne Einfluss nehmen kann, sei es durch kleine Handlungen oder größere Initiativen. Indem wir uns trauen, anders zu sein, Ideen voranzutreiben und uns für Veränderungen einzusetzen, inspirieren wir nicht nur uns selbst, sondern auch andere um uns herum.
In der Schule ist dies besonders wichtig, da sie ein Ort ist, an dem junge Menschen lernen und geprägt werden. Wenn wir als Einzelne mutig vorangehen und positive Veränderungen bewirken, schaffen wir eine Atmosphäre, in der auch andere ermutigt werden, ihre Ideen einzubringen und aktiv an der Gestaltung ihrer Umgebung teilzunehmen. Der Hashtag soll also nicht nur ein Motto sein, sondern eine Aufforderung an alle, selbst die Veränderung zu sein, die sie in der Welt sehen wollen – sei es im schulischen Umfeld oder darüber hinaus.
Ein zentraler Aspekt deines didaktisch-pädagogischen Konzepts ist das Churermodell[i]. Inwiefern könnte dieses Konzept aus deiner Sicht ein Schlüssel zur Veränderung der Lehr-/Lernkultur in der Schule sein?
Das Churermodell ist kein neues Konzept. Viele engagierte Lehrkräfte arbeiten bereits nach ähnlichen Strukturen und Elementen. Ich glaube, dass es nicht darum geht, etwas völlig Neues zu erfinden, sondern vielmehr darum, aufzuzeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten innerhalb unseres bestehenden Systems und Lehrplans existieren. Die Schlüsselkomponente liegt meines Erachtens in der Selbstreflexion. Es geht darum, in sich selbst hineinzuhorchen, herauszufinden, welche Position man in Bezug auf die eigene Rolle als Lehrkraft einnehmen möchte und den Mut aufzubringen, diese Vorstellungen in die Praxis umzusetzen. Der Fokus liegt also nicht nur auf externen Modellen oder Konzepten, sondern vor allem darauf, dass Lehrkräfte die Freiheit und den Mut finden, ihre individuellen Überzeugungen und pädagogischen Ziele umzusetzen.
Gibt es für dich weitere Themen der Schul- und Unterrichtsentwicklung, die eine ähnliche Veränderungskraft haben?
Durch den Einsatz von digitalen Lernbüros auf TaskCards, ähnlich wie Padlet, eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für eine individuelle Gestaltung des Lernens. Die Nutzung solcher Plattformen ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, ihren eigenen Lernfortschritt zu verfolgen, auf Ressourcen zuzugreifen und in ihrem eigenen Tempo zu arbeiten. Diese individualisierte Herangehensweise fördert nicht nur das selbstständige Lernen, sondern trägt auch dazu bei, den unterschiedlichen Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Darüber hinaus wird durch den Einsatz digitaler Tools wie TaskCards die Förderung medialer Kompetenzen vorangetrieben. Schülerinnen und Schüler lernen nicht nur den Umgang mit digitalen Werkzeugen, sondern entwickeln auch kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeiten und kreative Herangehensweisen an den Lernprozess und das auch schon in der Grundschule ab Klasse 1.
Wie sieht so ein digitales Lernbüro bei TaskCards konkret aus?
Ein Lernbüro ist eine digitale Plattform mit verschiedenen Reitern, die je nach Bedarf für die Kinder sichtbar oder unsichtbar geschaltet werden können. Die Kinder haben die Möglichkeit, eigene Materialien hochzuladen und Kommentare zu hinterlassen, sofern diese Funktion aktiviert ist. Die Basisinhalte des Lernbüros stammen aus Videos von Sofatutor, in denen die relevanten Themen erläutert werden. Auf dieser Grundlage können die Kinder neues Wissen erwerben oder bereits Gelerntes auffrischen.
Nach dem Ansehen der Sofatutor-Videos folgt ein Wechsel von digitalen Übungen, beispielsweise von LearningApps, sowie von Aufgaben aus Büchern, Arbeitsheften oder Arbeitsblättern. Dies ermöglicht es jedem Kind, an seinem individuellen Schwerpunkt zu arbeiten und das Tempo selbst zu bestimmen. Des Weiteren werden alle Hefteinträge über die TaskCard geteilt, sodass auch Kinder, die aufgrund von Krankheit abwesend waren, darauf zugreifen können.
Im Fach HSU (Heimat- und Sachunterricht) verwenden die Kinder häufig Forscherheftchen, um Informationen zu einem bestimmten Thema zu sammeln. Die relevanten Materialien, wie Videos, Übungen, Grafiken und Webseiten werden in einem speziellen Lernbüro gesammelt und bereitgestellt. Hier lernen die Kinder auch die Kompetenz, ein Video zu schauen, relevante Informationen herauszuschreiben und diese strukturiert aufzubereiten.
Ein weiteres wirksames Element in der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist der Einsatz meines Schulhundes Zizou. Tiergestützte Pädagogik hat nachweislich positive Auswirkungen auf das Lernumfeld. Die Anwesenheit eines Schulhundes kann dazu beitragen, eine positive Atmosphäre zu schaffen, Stress abzubauen und das allgemeine Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler zu steigern. Zizou kann nicht nur als motivierender Faktor dienen, sondern auch soziale und emotionale Kompetenzen fördern. Das alles spüre ich jeden Tag, wenn er mich im Unterricht begleitet.
Wenn ich mir deine Beiträge bei Instagram ansehe, geht es dabei auch immer um eine veränderte Haltung. Wie siehst du dich selbst als Lehrerin?
In meiner Rolle sehe ich mich nicht einfach als Lehrerin, sondern eher als Lernbegleiterin. Dieses Selbstverständnis hat sich für mich konkretisiert, als ich aktiv an der Schule, nach dem Studium tätig, war. Ich habe erkannt, dass eine Beziehung auf Augenhöhe, sei es mit den Kindern, den Eltern oder den Kolleginnen und Kollegen, eine wesentlich bereichernde Erfahrung ist. Ich versuche immer nah beim Kind zu sein, es zu verstehen und hinter die Probleme und Störungen zu schauen. Ich empfinde es als meine Aufgabe, die Kinder zu motivieren, sodass sie gerne zur Schule kommen und diese als einen Ort empfinden, an dem sie gerne Zeit verbringen. Wenn es mir gelingt, eine positive Lernumgebung zu schaffen, in der die Kinder nicht nur Wissen erwerben, sondern auch ihre Persönlichkeit entfalten können, dann ist mein Beruf für mich erfüllend – trotz der Hindernisse, die wir auf unserem Weg begegnen.
Womit könnten Kolleginnen und Kollegen beginnen, wenn sie ihren Unterricht in ähnlicher Weise umstellen wollen? Hast du Tipps für die ersten Schritte?
Es ist entscheidend zu erkennen, dass es nicht das eine Modell für alle gibt. Jeder Lehrer gestaltet sein eigenes Modell, da individuelle Voraussetzungen an Schulen und persönliche Präferenzen variieren. Es ist wichtig, den Fokus auf das Mögliche und Veränderbare zu legen, während Aspekte, die momentan nicht verändert werden können, bewusst ignoriert werden sollten, um nicht unnötig Kraft zu verschwenden.
Jeder noch so kleine Schritt in Richtung Offenheit und Veränderung ist von unschätzbarem Wert und erfordert Mut. Es ist ratsam, sich nicht zu sehr von externen Einflüssen wie sozialen Medien oder Kollegen unter Druck setzen zu lassen. Jeder geht seinen eigenen Weg, und es ist wichtig, das eigene Tempo zu respektieren – ähnlich wie bei den Kindern.
Kleinste Veränderungen können bereits bedeutsame Schritte in Richtung Fortschritt sein. Sei es die Möglichkeit für die Schüler, ihren Sitzplatz zu wählen in einer Stunde, das Einführen eines Sitzkreises zu Beginn in einer Stunde oder die Bereitstellung von verschiedenen Angeboten zur Auswahl. Diese kleinen Veränderungen können als erste Schritte auf dem Weg zu einem offeneren Lehransatz betrachtet werden.
Neben deiner Tätigkeit als Lehrerin bietest du über deine Homepage Kunstundstunde (eigentlich eine GbR) Fortbildungen an. Warum hast du dich entschieden, dein Wissen und deine Erfahrungen auf diesem Weg anzubieten? Was genau können interessierte Kolleginnen und Kollegen dort finden?
Durch den regen Austausch auf Instagram ist mir immer aufgefallen, wie spannend es sein kann, Einblicke in den Unterricht aus verschiedenen Bundesländern zu erhalten. Dies hat mich dazu inspiriert, die Idee von kunstundstunde.de zu verwirklichen. Ziel dieser Plattform ist es, allen Interessierten eine Austauschmöglichkeit zu bieten, die über die Grenzen einzelner Bundesländer hinausgeht. Eine Plattform für Pädagog*innen, Eltern, Erzieher*innen und andere pädagogische Fachkräfte. Auf der Webseite stehen verschiedene Funktionen zur Verfügung, darunter die Austauschwebinare. Dabei gewähren unterschiedliche Personen, wie du und ich, einen Einblick in ihre Arbeit und beantworten anschließend Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Auf diese Weise bieten wir jeder Arbeit und Methode eine kleine Bühne, schenken der Person Wertschätzung und tragen dazu bei, andere zu inspirieren und zu ermutigen. Zusätzlich gibt es ein Forum auf der Webseite, das verschiedene Themenbereiche abdeckt. Hier können nicht nur Fragen gestellt werden, sondern es entsteht auch Raum für Diskussionen, Vernetzungen und sogar die Planung von Hospitationsterminen.
Zudem hast du seit deinem Studium auch noch ein eigenes Fashionlabel Bagoney. Auf den ersten Blick hat das nichts mit Schule zu tun. Würdest du sagen, dass es einen Zusammenhang gibt?
Die Rolle als Unternehmerin bei BAGONEY hat einen bedeutenden Einfluss auf mein Leben, und ja auch auf meine Tätigkeit als Lehrerin. Die Herausforderungen, denen ich als Selbstständige gegenüberstehe, und die Selbstwirksamkeit, die sich durch das Führen eines eigenen Unternehmens entwickelt, haben in den letzten Jahren meine Perspektiven maßgeblich geprägt. Diese Erfahrungen spiegeln sich auch in meinem Unterricht wider. Sowohl im Business als auch in der Bildung arbeite ich gerne innovativ, stehe an vorderster Front und bin bereit, Neues auszuprobieren. Mut und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, sind für mich dabei zentrale Aspekte meiner Herangehensweise.
Auf Instagram bist du mit deinen Beiträgen sehr erfolgreich. Jetzt habe ich gesehen, dass du auch Threads als textbasierte Ergänzung für dich entdeckt hast. Zum Schluss wüsste ich gerne deine drei Hauptargumente, warum Lehrkräfte auf Social Media aktiv sein sollten.
Nr. 1: Berufliche Vernetzung und Austausch
Social Media bietet Lehrkräften die Möglichkeit, sich beruflich zu vernetzen, Ideen auszutauschen und bewährte Praktiken zu teilen. Plattformen wie Instagram ermöglichen den Zugang zu einem breiten Netzwerk von Pädagog*innen weltweit, was zu einem bereichernden professionellen Austausch führen kann.
Nr. 2: Fortbildung und Ressourcenteilung
Social-Media-Plattformen sind Quellen für professionelle Entwicklung. Lehrkräfte können auf aktuelle pädagogische Trends, innovative Unterrichtsmethoden und Ressourcen zugreifen, die von anderen Kolleg*innen geteilt werden. Natürlich wie immer: gefiltert betrachten und wirklich überlegen, ob es den Mehrwert hat, den die eigenen Schüler*innen jetzt brauchen.
Nr. 3 Professionalisierung und Präsenz
Eine aktive Präsenz auf Social Media kann die berufliche Professionalität stärken. Lehrkräfte können ihre Expertise in bestimmten Fachgebieten oder pädagogischen Ansätzen präsentieren, was nicht nur die eigene Reputation, sondern auch die Anerkennung des Lehrer*innenberufs insgesamt fördern kann. Außerdem ist es möglich Einblicke in den realistischen Schullalltag zu geben.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für dich und deine Schule!
Leonie Feitenhansl ist Grundschullehrerin aus Bayern. Neben ihrem Engagement in der Schule bildet sie Lehrkräfte fort, ist Bildungsinfluencerin bei Instagram und mit Kunstundstunde und ihrem Fashionlabel Bagoney selbstständige Unternehmerin.
Hier findet ihr Leonies Angebote:
Instagram: @kunstundstunde
Kunstundstunde im Web: www.kunstundstunde.de
Bagoney: www.bagoney.com
[i] Das Churermodell ist ein Konzept zur Lernraumgestaltung und zur Öffnung des Unterrichts. Nähere Infos finden sich hier: https://churermodell.ch
Veröffentlicht am 3. Februar 2024